: Das Handwerk bleibt ein exklusiver Club
Bei einer Anhörung im Bundestag klagten unabhängige Handwerker über den „Meisterzwang“, der für Selbständigkeit von Betrieben den Meisterbrief fordert. Verband: Regelung verhindert bis zu 500.000 neue Jobs ■ Von Joachim Fahrun
Bremen (taz) – Werner Hund steht vor dem Nichts. Die Stadt Gummersbach hat den Gewerbeschein des Dachdeckers eingezogen. Wenn das Oberverwaltungsgericht Münster nicht noch seine Klage zuläßt, muß der dreifache Familienvater seinen Ein-Mann- Betrieb dichtmachen. Der Grund: Werner Hund hat keinen Meisterbrief. Den aber braucht er, wenn er sich selbständig macht.
Bisher ist er im sogenannten „Reisegewerbe“ tätig. Nur in dieser Nische des Paragraphen 55 der Gewerbeordnung dürfen Handwerksgesellen bisher selbständig sein. So fährt Dachdecker Hund seit sechs Jahren direkt zu potentiellen Kunden oder Baustellen, um seinen Dienste feilzubieten und auch unverzüglich mit der Arbeit anzufangen. Von Anfang an mußte sich der Geselle aber auch mit Klagen seiner etablierten Berufskollegen herumschlagen, die ihm nun zum Verhängnis werden könnten. „Denen bin ich ein Dorn im Auge“, sagt Hund.
Wie dem Dachdeckergesellen geht es vielen Handwerksgesellen in Deutschland. Die Handwerksordnung verwehrt ihnen den Weg in die Selbständigkeit. Der Zimmerer Thomas Melles aus Nordrhein-Westfalen mußte schon zwei Betriebe schließen und zuletzt zwei Mitarbeiter entlassen. Angesichts dieser Gefahr scheuen viele die Konfrontation und bleiben lieber gleich in der Schattenwirtschaft.
Die Handwerkskammern und ihr Zentralverband ZDH verteidigen den sogenannten „großen Befähigungsnachweis“ als Voraussetzung zur Führung eines Betriebes. Nur der Meisterbrief sichere die Qualität der handwerklichen Leistung und die Berufsausbildung des Nachwuchses. Der Berufsverband unabhängiger HandwerkerInnen (BUH) hält dem entgegen, daß ohne Meisterpflicht in den Betrieben zwischen 200.000 und 500.000 neue Arbeitsplätze entstehen könnten.
Dazu wird es aber wohl auch unter Rot-Grün nicht so bald kommen. Obwohl die Experten der unabhängigen Monopolkommission empfehlen, den Meisterbrief als Voraussetzung zur Führung eines Handwerksbetriebes abzuschaffen, soll Selbständigkeit im Handwerk zwar erleichtert werden, der Meisterbrief soll laut Koalitionsvertrag aber weiter Voraussetzung für einen eigenen Betreib bleiben. „Ich sehe keine Lösung, die man frontal gegen die Handwerksvertreter durchsetzen könnte“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss.
Eine Erleichterung ist inzwischen vorgesehen: Der Meisterbrief soll auch nach der Existenzgründung berufsbegleitend erworben werden könnnen. Für Werner Hund kein Thema: „Das haut zeitlich einfach nicht hin. Ich kann nicht zweimal die Woche nachmittags nach Düsseldorf zur Meisterschule fahren.“ Inklusive Verdienstausfall können sich die Kosten für den Meisterbrief auf bis zu 100.000 Mark summieren. Zudem fällt jeder vierte Kandidat in der Prüfung durch.
„Das ist eine Mafia“, sagt ein unabhängiger Handwerker aus Norddeutschland. „Zahle das Geld, und du darfst in einem geschützten Markt arbeiten.“ Wie er lehnten manche Kollegen es auch prinzipiell ab, den Handwerksorganisationen beizutreten. So bleibt nur Schwarzarbeit oder eben ein Reisegewerbe. Mehrere Gerichtsurteile haben den Raum für selbständige Gesellen weiter eingeschränkt. Nach Angaben des BUH gab es zwischen 1991 und 1996 11.000 Verurteilungen von handwerksähnlichen Betrieben für Arbeiten, die Meisterbetrieben vorbehalten waren. Die unabhängigen Handwerker berichten nur sehr vorsichtig von Fällen aus dem ganzen Land: 80.000 Mark Bußgeld soll ein Bauhandwerker aus Nordrhein-Westfalen zahlen. Dem Yachtservice eines Bootsbauer- Gesellen aus Schleswig-Holstein droht die Schließung. Ein niedersächsischer Augenoptiker-Betrieb mußte einen Meister als Strohmann einstellen, der zuvor drei Firmen in die Pleite gelenkt hatte. Einem Bremer wurde verboten, als „Fahrraddoktor“ einen ambulanten Reparaturdienst aufzuziehen.
Eine Hoffnung heißt Europa: Denn für Ausländer gilt der Meisterzwang nicht. Sie dürfen sich nach sechsjähriger Selbständigkeit im Ausland in Deutschland selbständig machen oder ihre Leistungen von jenseits der Grenze anbieten. Hier würden Inländer diskriminiert, so der BUH. Und einen weiteren Trumpf zieht der Vorsitzende Thomas Melles: In den kommenden fünf Jahren stehen im Handwerk 70.000 Betriebsübernahmen an. Ohne Lockerung des Meisterzwangs müßten viele Betriebe schließen, weil kein Nachfolger mit Meisterbrief gefunden wird.
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