piwik no script img

Der zopftragende Mann. Eine abschließende Betrachtung Von Wiglaf Droste

Wenn ein Mann seine Haare zu einem Zopf bindet, ist das ein ernstes Signal an die Außenwelt. Der Mann möchte, wenn auch unbewußt, den Menschen etwas sagen. Durch seine Frisur hat sich der zopftragende Mann in eine optische Notrufsäule verwandelt und drückt ständig bei sich selbst auf den Knopf. „Helft einem, der sich selbst nicht mehr helfen kann! Bitte!“ fleht es wortlos aus ihm heraus. „Ich bin scheiße, und jeder kann es sehen!“

Die Menschen betrachten den Mann mit dem Zopf. Sofort ist seine Botschaft bei ihnen angekommen. Doch sie verhallt folgenlos. Viele sehen peinlich berührt zu Boden. Rasch huschen sie davon, andere wenden sich angeekelt ab. Nicht einer ist da, der dem zopftragenden Mann hilft in seinem Elend; die Menschen überlassen ihn seinem Schicksal.

Diese Erfahrung macht den Zopfträger hart und bitter. Aus Rache an der Gesellschaft, die ihn verschmäht, rasiert er sich die Schläfen, läßt am Hinterkopf einen harten Rasierpinsel stehen und wird reich, berühmt und noch vakuumöser, als er schon war. Manchmal heißt er Karl Lagerfeld und widmet sein Leben der Aufgabe, der Welt zu beweisen, daß Bräsigkeit und Affektiertheit keineswegs unvereinbare Gegensätze sind. Gelegentlich bindet sich der zopftragende Mann auch das Haar im Nacken zu einem dicken Bötzel zusammen, macht im Frühstücksfernsehen den Launigen, glitscht sich durch Verstehen Sie Spaß?, den Gnadenhof der TV-Semiprominenz, nennt sich Cherno Jobatey und ist die Verneinung dessen, was man Esprit nennt und Stil.

Als Mann einen Zopf tragen und trotzdem ein Wort wie Menschenwürde routiniert auf der Zunge führen: Genauso sieht er aus, der Zopfträger – und ahnt nicht einmal, daß man beides, einen Zopf und Würde, nicht haben kann. Da muß man sich schon entscheiden. Und genau das hat der zopftragende Mann ja auch getan.

Ebenfalls lästig sind jene Gesellen, die ihre dreieinhalb Haare langwachsen lassen und sie zu einem dürren Zöpfchen zusammenfriemeln. Das sieht so aus, wie es klingt: Glatze mit Rückholbändchen. Supissimo! Trotzdem muß man gerade diese Kombination erstaunlich oft mitansehen – wenn sich zum Beispiel Herr Zopfglatz- Glatzzopf im Bus, in der Eisenbahn oder im Flugzeug in den Sitz direkt vor einen wuchtet und dabei seine Hinterkopfkordel mit einer schwungvollen Geste hinter sich schleudert, damit er sich das kostbare, zierwurmartige Gerät nicht einklemmt. Woraufhin es dann in all seiner Kümmerlichkeit und Trübnis direkt vor der Nase des Hintermannes herumpendelt.

An meinem Schweizermesser befindet sich eine solide Schere – noch nie aber habe ich, wenn solch ein Trauerschwänzchen vor meiner Nase baumelte, von ihr Gebrauch gemacht. Wieso nicht? Möchte ich am Ende doch heiliggesprochen werden? Oder habe ich versehentlich die Titelrolle angenommen in dem Softcore- Schocker „Tolerator III – jetzt erduldet er alles“?

Vor mir pendelt noch immer, in seiner zäpfchenartigen Konsistenz, das Zöpfchen des Vordermanns. Schnitte ich es ab und kochte es aus, ich wäre ein gemachter Mann: Mit dem Fett könnte ich der Margarineprinz von Maghrebinien werden. Doch nimmt man nichts an vom zopftragenden Mann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen