: Raumstation im All: Vollendung des Turmbaus zu Babel
■ Technisch eine Meisterleistung, ist ISS die größte internationale Unternehmung der Geschichte
„Wenn ich den Leuten von meinen Forschungen in den Tiefen des Alls erzähle“, sagt der Astronom Alan Dressler, „dann sagen sie regelmäßig an irgendeinem Punkt unserer Unterhaltung: ,Ich fühl' mich angesichts dieser Weiten des Weltraums so bedeutungslos.‘ Ich antworte darauf stets: ,Das ist ganz falsch!‘ Das menschliche Hirn, der Mensch, die Menschheit sind wunderbare Systeme, die in der Lage sind, die Komplexität der Welt zu begreifen. Das eigentliche Wunder ist nicht das Universum, sondern der Mensch, der es zu ergründen fähig ist.“
Alan Dressler baut die Weltraumteleskope, die auf Hubble folgen werden (Next Generation Space Telescope). Für ihn ist eine der herausragendsten Eigenschaften der Menschen ihre Fähigkeit zur Kooperation. „Für den Hamburger, den ich mir besorge, müssen Abertausende von Menschen eine komplexe Kooperation miteinander eingegangen sein. Kein Lebewesen auf Erden – und wahrscheinlich ebensowenig irgendwo sonst im All – ist derart auf Kooperation ausgerichtet wie der Mensch.“
Daß die menschliche Kooperation dazu angelegt ist, bis in den Himmel zu reichen, ist mythologisch verbürgt. Im alten Babylon versuchten sie's mit einem Turm. Und dem alten Jahwe war diese Zusammenrottung der Menschen zur Erstürmung seines Himmels nicht geheuer. Er schlug die Menschen mit Sprachverwirrung. Nicht, daß Gottes Mittel unwirksam gewesen sei. Fünftausend Jahre lang hatten die Menschen Schwierigkeiten damit, sich über Sprach-, Landes- und Systemgrenzen hinweg zu verständigen. Kriegführen war einfacher.
Doch ewig hielt der Fluch nicht vor. Die Raumstation ist nicht nur die gewaltigste Ingenieurleistung seit dem Pyramidenbau, sondern die größte internationale Unternehmung seit dem Turmbau zu Babel. Sechzehn Nationen wirken dabei zusammen, ein aus Hunderten von Teilen zusammengesetztes Ding hoch oben am Himmel zu bauen. Daß es von der Erde so weit weg ist wie München von Frankfurt – lumpige 370 Kilometer – soll die Leistung nicht schmälern, Gott paßten schon die lächerlichen 80 Meter nicht, die der Turm von Babel aufragte.
Die Erbauer des heutigen Luftschlosses sprechen nicht nur verschiedene Sprachen, sie haben unterschiedliche Maße. Während die Amerikaner in Zoll und Fuß messen, rechnen Europäer und Japaner in Metern. Amerikaner und Russen haben sehr unterschiedliche Vorerfahrungen in der Raumfahrt. Die Russen haben größere Ausdauer beim Bemannen von Vorposten am Himmel bewiesen – die Mir umkreist seit zehn Jahren die Erde –, die Amerikaner haben die raffiniertere Hard- und Software zur Himmelserforschung entwickelt.
Allein das Zusammenwirken von Forschern verschiedener Nationen und Kulturen in der engen Schwerelosigkeit der Labors auf der Raumstation dürfte zu interessanten Interaktionen und zu ganz neuen Erfahrungen bei multikultureller Konfliktlösung führen. Der eigentliche Testfall auf die internationale Kooperation der Menschheit aber findet auf Erden statt. Gemessen an der Verwirklichung der Klimaabkommen von Kioto und Buenos Aires ist der Bau der Raumstation höchstens ein Sportfest mit internationaler Beteiligung.
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