: Leuchten gegen schlechte Laune
Schlecht drauf? Da sind Sie in zahlreicher Gesellschaft. Regelmäßig zum Herbst schieben viele Menschen auf der Nordhalbkugel eine handfeste Depression. Der Grund: fehlendes Licht. Also ab auf den Solargrill? Besser nicht – helfen kann hier nur eine spezielle Lichttherapie ■ Von Wolfgang Löhr
Braune Blätter, naßkaltes, trübes Wetter, Dunkelheit. Man fühlt sich schlapp und müde. Trauerstimmung, Schlafstörungen kommen hinzu. Schuld daran sei das fehlende Licht, sagt Jürgen Zulley, Experte für biologische Rhythmen an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Regensburg. Geschätzt wird, daß rund zehn bis zwanzig Prozent der Mitteleuropäer in den Herbst- und Wintermonaten unter psychischen und körperlichen Beschwerden leiden. „Saisonal abhängige Depressionsformen“ (SAD) nennen Wissenschaftler das Phänomen, das der Volksmund auch als Winterdepression bezeichnet. Im Unterschied zu anderen psychischen Erkrankungen sind Winterdepressionen jedoch in der Regel relativ leicht zu heilen: durch künstliches Licht.
„Meistens handelt es sich um mittelschwere Depressionen“, sagt Professor Burkhard Pflug, Psychiater am Universitätsklinikum in Frankfurt am Main, „die Betroffenen schaffen gerade noch so ihre Alltagsarbeit.“ Es gibt aber auch weitaus schwerere Fälle. Die Patienten leiden unter dem Lichtmangel so stark, daß sie zu Hause bleiben müssen. Besonders stark betroffen sind Frauen und die Dreißig- bis Vierzigjährigen: Sie stellen immerhin zwei Drittel der Patienten. Etwa zwei Prozent aller Betroffenen, so wird geschätzt, entwickeln gar eine handfeste Depression, die im Suizid enden kann. Allen gemeinsam ist, daß die Depressionen jedes Jahr im Herbst wiederkehren. Bis etwa April, wenn die Sonne wieder länger und auch intensiver scheint, dauert die Leidenszeit.
Abhilfe schafft die Lichttherapie. Früher verordneten die Ärzte Antidepressiva, die oftmals mit Nebenwirkungen verbunden waren. Erst Anfang der achtziger Jahre entdeckten Wissenschaftler in den USA, daß gezielte Lichtgabe die depressive Stimmung mildern kann. Am amerikanischen „Institut für Geistige Gesundheit“ in Bethesda entwickelten die beiden Psychobiologen Norman Rosenthal und Thomas Wehr die Lichttherapie. Einige Jahre später wurde diese Methode dann in Deutschland erstmals an der Universität Frankfurt angewandt. Mittlerweile wird sie hierzulande an über 250 Kliniken angeboten, auch niedergelassene Ärzte sind zunehmend mit entsprechenden Geräten ausgerüstet. Der Patient wird dabei für einen Zeitraum von einer halben Stunde bis zu zwei Stunden mit speziellen Lampen bestrahlt. Die Lampen – meistens spezielle, sehr helle Leuchtstoffröhren – haben eine Lichtintensität von 2.500 bis 10.000 Lux. Zum Vergleich: Eine normale Raumbeleuchtung erreicht nur etwa 500 Lux. An wolkenlosen Sonnentagen hingegen werden oft 100.000 Lux gemessen.
Ursprünglich wurden Lampen mit einem Vollspektrum genutzt – das Tageslicht sollte möglichst vollständig imitiert werden. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß der ultraviolette (UV) Anteil des Sonnenlichtes zur Therapie der Winterdepression nicht notwendig ist. Bei den heutigen Geräten wird der UV-Anteil wegen der gesundheitlichen Risiken für Haut und Augen herausgefiltert. Auch sollten die Lampen keine Infrarotstrahlung aussenden – sie kann grauen Star, eine Trübung der Augenlinse, verursachen.
Bei der Bestrahlung sollten die Augen offen bleiben. Denn die Wirkung erfolgt ausschließlich über das Auge. Über die Netzhaut und den Sehnerv wird das Licht in Form elektrischer Impulse zur „inneren Uhr“ des Gehirns weitergeleitet, dem Nucleus suprachiasmaticus (SCN), einem Zellkern im Gehirn. Darüber, wie die „innere Uhr“ aller Wirbeltiere den Lebensrhythmus bestimmt, beispielsweise den Wechsel zwischen den täglichen Schlaf- und Wachphasen, ist noch relativ wenig bekannt. Die Chronobiologen, die das komplexe „Räderwerk“ des Taktgebers für den Menschen aufzuklären versuchen, haben immerhin herausfinden können, daß das Licht ein entscheidender Impulsgeber ist für den SCN sowie für die Zirbeldrüse, die im Gehirn für die Ausschüttung des Botenstoffes Melatonin verantwortlich ist.
Anfangs gingen die Wissenschaftler davon aus, daß das Hormon Melatonin „der Dirigent unserer biologischen Rhythmen“ ist. Die Substanz, die auch als „Schlafhormon“ bezeichnet wurde, wird bei Dunkelheit gebildet, bei Tageslicht hingegen stoppt die Produktion. Ist das Tageslicht nicht ausreichend, kommt die Zirbeldrüse aus dem Takt, es wird zuviel Schlafhormon produziert: Davon betroffene Menschen kommen erst gar nicht richtig in die Wachphase hinein. Das erklärt auch ihren Heißhunger auf Süßes. Denn Zucker stabilisiert den Melatonin-Haushalt.
Doch die zentrale Rolle des Schlafhormons konnte bisher nicht nachgewiesen werden, erklärt der Frankfurter Psychiater Pflug. „Melatonin ist ein Marker der inneren Uhr, aber es ist nicht, wie ursprünglich angenommen, für die Wirkung des hellen Lichts verantwortlich.“ Das Melatonin hänge zwar auch mit dem Schrittmacher für den Menschen zusammen, so daß die Produktion durch Licht beeinflußt werden könne. „Aber der umgekehrte Schluß, daß diese Substanz nun der Schlüssel für die Wirkung des hellen Lichtes ist, gilt nicht.“ Man habe versucht, in den Melatoninhaushalt einzugreifen, indem man das Hormon blockierte, „das hatte aber keine Wirkung“. Auf welcher Ebene die Lichtimpulse tatsächlich in das Räderwerk der inneren Uhr eingreifen und wie das zur Heilung der SAD beiträgt, ist nach wie vor unklar.
Die Erfolgsquote der Lichttherapie wird mit bis zu achtzig Prozent angegeben. Erste Linderung der Krankheitssymptome soll schon nach wenigen Tagen auftreten, volle Heilung nach zwei Wochen. Nicht alle Krankenkassen übernehmen die Behandlungskosten oder beteiligen sich an einer Heimlampe, die es für mehrere hundert Mark zu kaufen gibt. „Manche Kassen erstatten die Auslage für eine Lampe, die ja auch in verschiedenen Varianten angeboten wird“, berichtet Pflug, „andere Kassen weigern sich.“ Wenn die ärztliche Indikation eindeutig sei, fordert Pflug, sollten die Kassen auch die Therapiekosten übernehmen.
Als Alternative bleibt den von einer Winterdepression Betroffenen immer noch die Möglichkeit, in sonnenreichere Regionen zu flüchten. Oder sie sollten sich einfach tagsüber „die Zeit nehmen, eine halbe Stunde oder besser noch eine ganze Stunde ins Freie zu gehen“, empfiehlt Psychiater Pflug; das sei oft schon hilfreich. Das Problem sei nur, daß Depressive oftmals keinen eigenen Antrieb mehr hätten, sich dazu aufzuraffen, sagt Pflug. Da hilft dann nur eine vom Arzt verschriebene Lichttherapie.
Wer sich den Wintertrip in den Süden nicht leisten kann oder gar so unter Zeitdruck steht, daß tagsüber ein Spaziergang an der frischen Licht nicht möglich ist, weicht oft auf ein Bräunungsstudio aus. Gerade in den trüben Herbst- und Wintermonaten haben die bundesweit rund zehntausend Solarien regen Zulauf. Wenn die Kraft des Sonnenlichts schwindet, wird Ersatz gesucht unter Quecksilberdampflampen und UV-Hochdruckbrennern. Sonnenbräune ist in, auch im Winter. Nach einer von den Branchenverbänden der Solarienindustrie veröffentlichten Emnid- Umfrage besteht für fast 30 Prozent der Bevölkerung ein „ziemlich starker Zusammenhang“ zwischen Sonnenbräune und Wohlbefinden. Für über 46 Prozent ist Sonnenbräune ein „Zeichen für Erotik“, und 57 Prozent meinen gar, sie sei ein „Zeichen für Schönheit“.
Doch bei Winterdepression hilft kein Sonnenstudio. Sonnenbänke liefern einen Spektralbereich des Sonnenlichts, der bei der Lichttherapie wegen seiner Schädlichkeit vollkommen herausgefiltert wird, die UV-Strahlen. Und um die schädliche Wirkung der UV-Strahlen auf die Augen zu verhindern, sind Schutzbrillen angesagt. Davon abgesehen, funktioniert die Lichttherapie eh nur über das Auge.
Wolfgang Löhr, 43, gelernter Elektromechaniker und Diplombiologe, ist seit über fünf Jahren Wissenschaftsredakteur bei der taz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen