Das deutsche Klinkenputzen

Waffennarren denken sich futuristische Space-Parks aus, Weltraumträumer warten auf Sponsoren aus der Lebensmittelindustrie. Ist das kulturelle Programm zur Expo 2000 am Ende nur die Verwirklichung der schönsten Ideen aus Basisbewegung und Bürgerinitiative?  ■ Von Helmut Höge

In den letzten Monaten wurde viel über die Finanzprobleme der Hannoveraner Expo berichtet. Die Expo-Geschäftsführerin Birgit Breuel hatte eine Finanzierung der Weltausstellung „Mensch, Natur, Technik“ über Steuerbefreiungen vorgeschlagen. Man warf ihr im Gegenzug Verschwendung vor. In den Expo-Büros arbeiten eine Menge Experten an diversen „Themenparks“, gestützt von wissenschaftlichen Beiräten, Spezialisten und Instituten. Daneben gibt es noch einige – zu wenige, sagen die Kritiker – Arbeitsgruppen von Großkonzernen, die eigene Expo- Präsentationen vorbereiten, sowie Regierungen, die sich entschließen, Länderpavillons in Hannover aufzustellen. Die ärmsten bekommen dafür extra Entwicklungshilfe.

Außerdem gibt es noch zwei Teams für „Weltweite Projekte international“ und „Weltweite Projekte Deutschland“. Hierzu gehört zum Beispiel nahezu all das, was von Birgit Breuels Treuhand-Privatisierungen in Sachsen-Anhalt übrig blieb: die auf ein Museum reduzierte Filmfabrik Orwo, die Reste des Braunkohlenreviers bei Bitterfeld, ein Baggerensemble namens Ferropolis, ein ausgeweidetes Kraftwerk als „Kulturdenkmal“ und so weiter.

Die sachsen-anhaltinischen Ex- ProletarierInnen dachten sich derart viele solcher „Basisprojekte“ aus und gründeten sogar einen Verband zum In-die-Expo-Pushen ihrer Ideen, daß Birgit Breuel sie deswegen bereits vor Jahr und Tag lobte: Damit würden sie „eindrucksvoll den Willen zum Wandel“ im Osten demonstrieren. Vor allem sammelt das Bauhaus Dessau alle eindrucksvoll musealisierten Projekte in die Scheuer des Expo-Nutzens. Gleichzeitig befürchten diese Spaziergangsforscher jedoch, daß sie von der Landesregierung und der Expo nur „benutzt“ werden. Viele „ihrer“ Projekte waren einst über ABM von unten entstanden, nachdem die entsprechenden Betriebe stillgelegt worden waren.

Die Mitarbeiter versprechen sich von der Expo vor allem ihre (finanzielle) Fortdauer, über das Ende aller AB-Maßnahmen hinaus. Bei ihrer – erneuten – Hoffnungsträgerin Birgit Breuel sammeln sich sodann alle Ideen wiederum bei „Projekten“. Als da sind: „Prozeßentwicklung, Projektsteuerung“, „Der Mensch, Zukunft, Gesundheit und Energie“, „Landschaft, Klima, Basic Needs und Ernährung“, „Zukunft der Vergangenheit und Das 21. Jahrhundert“ und „Wissen, Information, Kommunikation. Die Mobilität und Die Zukunft der Arbeit“.

Zu diesen fünf Projekten gibt es diverse runde Tische, an denen internationale Intelligenz Platz nimmt, um die Einreichungen auszusortieren. Das kostet und dauert! So hatte sich beispielweise das von Finanzproblemen geplagte Hannoveraner Jugend-Filmfestival der Expo als Kulturbeitrag zur Expo empfohlen. Alle halbe Jahre rief der Festivalleiter (zum Ortstarif) bei der Expo an und erkundigte sich nach dem Stand. Stets wurde ihm gesagt: „Geduld, Ihr Projekt befindet sich in der Warteschleife.“ Schließlich war er dort so bekannt, daß man ihn in eine der Jurys berief. So kommt bei den Kulturelementen eher die Halbprominenz aus dem Showbusiness zum Zuge, während bei Raketen- und Mobilitätsprojekten die Kommißköppe aus der Rüstungsindustrie beziehungsweise den Ost- Feldzügen auf der Matte stehen. Es ist ein ständiges Geben und Nehmen.

Nehmen wir nur das dicke Expo-Korrespondenzprojekt in Bremen: den „Space-Park“. Die Entwicklung dieser neuen Freizeitvergnügungsstätte für Weltraumfans verlief in etwa folgendermaßen: Zwei NVA-Offiziere auf Usedom errichten nach ihrer Abwicklung in Eigeninitiative das „Freiluftmuseum Peenemünde“, das seit 1991 Waffennarren aus aller Welt anzieht, so viele, daß die Gemeinde inzwischen die einzige im ganzen Osten ohne Geldprobleme ist. Natürlich trudeln auch alle Altnazis ein und feiern die „Wiege der Weltraumfahrt“, V2 und Wernher von Braun. Das ruft eine feministisch-pazifistische DDR-Historikerin auf den Plan. Sie informiert die Jüdische Gemeinde Mecklenburg-Vorpommerns und diese das kalifornische Simon-Wiesenthal- Center, das daraufhin scharf gegen diese Verherrlichung der Mordwaffe protestiert. Die Altnazis ziehen sich zurück. In der Zwischenzeit hat der Rüstungskonzern Daimler-Benz beziehungsweise seine Tochter Dasa eine Subtochter namens Dara gegründet, die einen Experten beauftragt, ein Konzept für einen Space-Park Peenemünde zu erstellen. Der Experte guckt sich alle Space-Parks dieser Welt an und faßt seine Eindrücke zusammen. Vor Ort hat sich inzwischen zusammen mit Sparkasse und Landrat ein Interessensverband gegründet. Ein Amerikaner wird Leiter des Museums. Er verkündet: NVA-Schnellboote und russische MiGs haben in Peenemünde nichts verloren. Auch die beiden NVA-Offiziere sollen entlassen werden. Diese haben inzwischen neben V2-Resten und -Plänen auch einen Dasa-Weltraumfilm vor Ort im Angebot.

Nach den internationalen Protesten nimmt sich die Kultusministerin von Mecklenburg-Vorpommern des Projekts an: Ihr Staatssekretär installiert ein internationales Museologen-Gremium, das ein Gegengutachten zum Space-Park entwickelt: Peenemünde soll an ein kleines Flugmuseum in Vorpommern angegliedert und der ganze „Komplex“ derart kritisch- historisch aufgearbeitet werden, daß auch noch der Ex-Freiburger Professor Kittler mit seinem an Pynchon orientierten Deliranzansatz daran seine Freude hätte. Sodann wird ein westdeutscher Kunsthistoriker und Wehrdienstverweigerer Leiter des Museums Peenemünde, das man gleichzeitig zum Korrespondenzstandort der Expo 2000 erklärt. Dies bringt fünfzig ABM-Kräfte für den Wegebau ein.

In der Zwischenzeit haben verschiedene Banken den Vulkanwerften-Schwindel in Bremen auffliegen lassen und der Stadtstaat plötzlich „akuten Handlungsbedarf“. Es meldet sich dort die Wiesbadener Freizeitfirma ELC (European Leisure Company). Für 2,5 Milliarden Mark will sie Bremerhaven mit einem Ocean- Park und Bremen mit besagtem Space-Park beglücken. Ihr Arbeitsplatzargument kann überzeugen. Dazu wird eine Paketlösung geschnürt, zwischen Bremer SPD- Regierung, Expo, Dara und ELC, aus öffentlichen Mitteln sollen 760 Millionen Mark beigesteuert werden. Nun berichten die Lokalzeitungen fast täglich über Fortschritte dieses „Expo-Projekts“, aus dem mit der Verlagerung von Peenemünde nach Bremen alle historisch-kritischen Aspekte entfernt wurden: Der deutsche Raketen-Weltraum- Traum beginnt nun erst im sauberen Sommer 1956. Expo-intern ist das Großvorhaben natürlich nirgendwo besser aufgehoben als beim „Projekt: Wissen, Information, Kommunikation. Die Mobilität und die Zukunft der Arbeit“.

Bei den anderen Projekten ist dies nicht der Fall. Bereits Anfang 1998 wurden die meisten Projektleiter mit zunehmender Konkretisierung unruhig: Sie drängten Birgit Breuel, endlich Sponsoren zur Realisation zu akquirieren. Als von oben nichts kam, fingen sie selber an, sich darum zu kümmern. Bei den Ernährungsprojekten dachten sie zum Beispiel an die diversen Lebensmittelkonzerne. Nachdem sie dort abgeblitzt waren, versuchten sie mit den Werbeagenturen zu verhandeln, die entsprechende Firmenetats verwalten. Als auch dies nichts brachte, wurden sie richtig nervös: Am Ende würde nur eine hastige Zusammenstreichung aller Projekte auf Heidepark-Soltau-Niveau übrig bleiben. Birgit Breuel blieb gelassen. Sie hat Erfahrung. Gegen Ende ihrer Arbeit als Treuhand- Chefin ließ sie schon einmal eine „Expo“ (in Babelsberg) vom Stapel. Die reprivatisierte DDR-Industrie wurde dort etwa als Imbißkioske in Form von überdimensionierten Ostprodukten (Bierflaschen zum Beispiel) dargestellt und die umgewandelten LPGs als Haustier-Streichelzoo. Die Werbung für diese Expo war wahrscheinlich aufwendiger als ihre Realisierung.

Dennoch ist Häme gegenüber Birgit Breuels Expo-Finanzierungsidee nicht angebracht, ebensowenig ist ihr die Haltlosigkeit des gesamten Expo-Konzepts anzulasten. Schon als niedersächsische Finanzministerin war sie dafür bekannt, daß sie sich nach außen hin hart gab, aber nach innen, bei Verhandlungen, butterweich war. Als Gerhard Schröder Ministerpräsident wurde, sprach er sich nach einigem Zögern für die Fortführung der Expo-Vorbereitungen aus, jedoch unter der Bedingung, daß die Expo-Chefin Breuel verschwinde. Sie ging daraufhin zur Treuhand- Niederlassung nach Mecklenburg- Vorpommern. Damals war Detlev Rohwedder noch Treuhand-Chef, und er verfolgte eine Privatisierung à la Bewag, das heißt argumentativ und mit internationaler Beteiligung. Den deutschen Unternehmern warf er vor: „Sie benehmen sich im Osten schlimmer als Kolonialoffiziere!“ Weil seine Vorstellungen dem deutschen Monopolkapital zunehmend mißfielen, wurde er umgebracht. Er wurde nicht von der RAF erschossen. (Ich frage dabei nicht nach Indizien, sondern wem seine Ermordung nützte.) Zu seiner Nachfolgerin wurde Birgit Breuel gekürt, die zwar stets so tat, als würde sie die Interessen der Ostbetriebe vertreten, die jedoch nach innen den Wünschen westdeutscher Unternehmen zu jeder Zeit Rechnung trug. Dies läßt sich bei vielen Treuhand-Entscheidungen im Detail nachweisen. Auf einer Berliner Wirtschaftskonferenz meinte der Siemens-Bevollmächtigte einmal: „Frau Breuel eröffnet zwar ein Treuhand-Büro nach dem anderen im Ausland, aber das ist noch lange kein Akquirieren. Als Geschäftsleute wissen wir doch: Um etwas zu verkaufen, muß man Klinken putzen, Klinken putzen und noch mal Klinken putzen!“

Die Expo-Projektteams verlangten genau das von Frau Breuel. Aber wahrscheinlich dachte die Hamburger Bankierstochter ebenso wie Gerhard Schröder, daß das westdeutsche Kapital seiner ehemaligen Treuhand-Chefin derart zu Dank verpflichtet sei, daß es alle Expo-Wünsche von den gütigen Augen der „Generalkommissarin“ ablesen würde. Dem war nicht so. Der Grund ist, folgt man dem Soziologen Denis Duclos, im derzeitigen Wechsel von der nationalen Bourgeoisie zur „internationalen Hyperbourgeoisie“ zu suchen. „Diese Umwandlung der Eliten bedeutet eine regelrechte kulturelle Deflation, und zwar in dem Maße, in dem die moralischen Werte im Umgang mit Geld immer primitiver werden, weil sie keinerlei Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft mehr kennen“ (Le Monde Diplomatique, 14.8. 98). Die neue – angestellte – Hyperbourgeoisie ist derart kulturfeindlich, daß sie ikonoklastisch wird. Statt sozial-mäzenatischer Tugenden im Lokalen entwickelt sie lieber versteckte Luxusghettos im Globalen. Darunter leidet übrigens sogar die Schweizer Expo 2001, und die Expo-Pleiten von Spanien und Portugal gehen auch bereits zum guten Teil auf das Konto dieser neuen Eliten, die nach Duclos loyalitätsbefreit und somit extrem „korruptionsanfällig“ sind.

Sollte Schröder demnächst Birgit Breuel in die Wüste schicken,

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wird es ihr Nachfolger noch schwerer haben. Daran ändern alle Sparvorschläge und Kommunikationsverbesserungspläne nichts. „Deutschland“ kann sich nur noch gegen seine Eliten derart repräsentieren – wenn überhaupt. Dies kommt zur Zeit jedoch noch einer Quadratur des Kreises gleich. Schröder ist dabei leider auch nur der letzte, der sich noch an die alten bourgeoisen Opernlogen klammert. Wenn hierzulande irgend jemand eine kernige Leistungsschau auf die Beine stellen kann, dann sind es die Hannoveraner „Projektteams“ (250 Leute insgesamt) und ihre „externen Projektbetreuungen“ – weltweit. Ein „gewaltiges Defizit“ ist dabei unvermeidbar. Schon sind, trotz Defizitübernahmen von 400 Millionen Mark und Aufstockung der Staatsbürgschaften auf 1,8 Milliarden, die Themenparks in einem ersten „Sparprogramm“ gestutzt und das Kulturprogramm reduziert. Dafür soll es mehr „Attraktionen“ geben. Alles läuft auf den kollektiven Freizeitpark à la Soltau hinaus.

Um dieser „nationalen Blamage“ zu entgehen, fühlen sich immer mehr Meinungsmacher zum Mitdenken motiviert: Der Spiegel kritisiert, daß die Expo-Leitung es ablehnte, von Niedersachsen Hilfe bei der Suche nach „Sponsoren vor Ort“ anzunehmen, und die ZDF- Sendung „Frontal“ weist nach, daß die Leitung „Millionen verbummelte“, indem sie mit Großinvestoren wie der zentralen Marketing Agentur der Lebensmittelbranche, der Preussag AG und der McDonald's-Kette „unprofessionell verhandelte“. Das ist Unfug. Jeder Investor, der nicht zur Parade kommt, behauptet so etwas! Der Landesrechnungshof monierte unterdessen die aufwendigen, an die Treuhand erinnernden Expo-Geschäftsgebaren, die seinerzeit von der an den Ost-Privatisierungen reich und dreist gewordenen Roland Berger Unternehmensberatung organisatorisch präfiguriert wurden.

Roland Berger korrigierte derweil die von ihm anfänglich auf über 40 Millionen taxierte Besucherzahl auf unter 30 Millionen. Die Expo-Chefin läßt dagegen ein ums andere Mal verlauten, was sie auch schon zu Treuhand-Zeiten immer sagte: „Wir liegen (voll) im Zeitplan!“