: Der Chor der Pferdeflüsterer
■ Das Berliner Brücke-Museum will mit einer Ausstellung zum "Blauen Reiter" von älteren Mystifikationen abkommen. Die Tierbilder waren auch eine Flucht vor Industrie und Stadtleben
Der Ton war lange heroisch. Vom „Blauen Reiter“ ließ sich nicht ohne Pathos reden – so viel Aufbruch, so viel emphatische Suche nach Wahrheit und Reinheit. Dann das tragische Ende: Franz Marc und August Macke im 1. Weltkrieg gefallen, Wassily Kandinsky und Alexej Jawlensky als Russen aus Deutschland ausgewiesen.
Nach dem 2. Weltkrieg eroberten die Pferde und Rehe von Marc erst die Buden der Kunststudenten und später die Kinderzimmer. Aus der Zeit der nationalsozialistischen Diffamierung als „entartet“ war der „Blaue Reiter“ mit einem ganz besonderen Heiligenschein hervorgegangen. Die Suche der Maler nach dem Unverfälschten bestärkte die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft in ihren Vorstellungen, die Geschichte von sich abzustreifen und neu beginnen zu können. Die Theorie des „Blauen Reiters“ wurde mit ihrer Tendenz zur Transzendierung der Wirklichkeit zu einem unverzichtbaren Bezugspunkt der abstrakten Malerei.
Die Popularität der Tierbilder Marcs und der Farbklänge Kandinskys hält unvermindert an. Das hat das Brücke-Museum Berlin zu spüren bekommen. Um ein Jahr mußte die ursprünglich für 1997 geplante Ausstellung verschoben werden, weil Leihgeber ihre Werke schon nach Paris und Japan versprochen hatten. „Wir wollten nicht die durch vielfache Reproduktionen abgenudelten und fast verkitschten Werke des ,Blauen Reiters‘ zeigen“, erläutert Magdalena Möller, Direktorin des Brücke-Museums. Vor allem der Katalog und ein Magazin des Museumspädagogischen Dienst tragen dazu bei, die Legende vom „Blauen Reiter“ aus alten Rezeptionsmustern zu befreien. Befragt werden ihre theoretischen Konzepte und kunstpolitischen Strategien, ohne das oft widersprüchliche Bild aus aufklärerischen und irrationalen Impulsen zu schönen.
So kritisiert Arnim Zweite Kandinskys Wortgeklingel vom kommenden Reich des Geistes als mystisches Getöse und bewundert zugleich doch die Hellsichtigkeit, mit der er den Münchner Kunstbetrieb durchschaute. Zusammen mit Franz Marc bildete Kandinsky die Redaktion des 1912 erschienenen Almanachs „Der Blaue Reiter“, der erstmals europäische und außereuropäische Kunst nebeneinanderstellte. Zwar war die Überwindung eines eurozentristischen Kulturbegriffs als Legitimation der eigenen Ausdrucksformen angelegt. Doch auch in den Ausstellungen, die Marc, Kandinsky und August Macke zwischen 1911 und 1914 organisierten, öffneten sie das Feld weit zwischen Pionieren der Abstraktion und Herzergreifendem für Maler wie Braque, Derain, Picasso, Vlaminck oder Rousseau.
Die blaue Reiterfigur, mit der Kandinsky den Umschlag des Almanachs gestaltete, gehörte zu seinen Transformationen des heiligen Georg, der die religiöse Höhe des künstlerischen Kampfes symbolisierte. In den Konturen ist ein Rest des volkstümlichen Motivs erhalten geblieben, während die Farbflecken in eigener Dynamik zwischen den Linien irrlichtern. Diese stürmerische Spur findet sich in vielen Kompositionen Kandinskys. Plötzlich entdeckt man auch auf „Improvisation 20“ wehende Mähnen und gestreckte Läufe über zerfließendem Grund.
Tatsächlich scheinen der Rhythmus der Pferde und eine animalische Energie die Auflösung des Gegenständlichen bei den Künstlern des „Blauen Reiter“ voranzutreiben. In August Mackes „Ausreitenden Husaren“ leuchtet das Gras durch vorbeizischende Pferdeleiber und Reiteruniformen, die sich im Hintergrund zu Punkten und Strichen auflösen. Marc, der mehr auf Empfindung als auf Transzendenz setzte, entdeckte das in sich Ruhende einer geschlossenen Welt in den warmen Pferdeleibern, die mit gebogenen Hälsen dicht zusammenstehend Kraft und Geborgenheit ausstrahlen. Nicht die Großstadt, nicht das Rattern der Eisenbahn oder die frühe Industrie setzten ihre Kunst unter Dampf, sondern die Abkehr von einer Kultur, die sie im Materialismus gefesselt glaubten.
Neben Kandinsky und Marc wird August Macke ausführlich mit Gemälden und Aquarellen der Tunisreise vorgestellt, die er mit Klee unternahm. Für Macke liefert trotz aller Geometrisierung und Reduzierung der Formen die Fülle der Welt ein reiches Kompositionsmaterial. Seine Bilder gleichen Choreographien, in denen er die Herren mit Hüten oder Papageien zu Chören zusammenfaßt.
Nur als Randfiguren tauchen die Malerinnen Gabriele Münter und Marianne Werefkin auf. Beide wurde in den achtziger Jahren als Protagonistinnen der Moderne entdeckt, die nicht nur Kandinsky und Alexej Jawlensky unterstützt haben, sondern auch eigene Erzählweisen entwickelten. Doch sie fallen wieder den bekannteren Namen zum Opfer.
Mit Berlin verband den „Blauen Reiter“ der Sammler und Mäzen Bernhard Kohler. Ohne seine Unterstützung wäre weder der Almanach noch die Ausstellungen des „Blauen Reiters“ zustande gekommen. Kohlers Sammlung verlieh diesem Kunstbegriff lange Zeit materiellen Bestand, bis sie bei einem Bombenangriff 1945 zu großen Teilen zerstört wurde. Katrin Bettina Müller
Der Blaue Reiter und seine Künstler, bis 3.1. 1999, Brücke-Museum Berlin; anschließend Kunsthalle Tübingen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen