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Qualität ist eine Charakterfrage

Was ist ein Fernsehspiel? Welten trennen es vom TV-Movie. Jedenfalls auf der Fernsehtagung. Zu Hause auf der Fernbedienung aber sieht das schon ganz anders aus  ■ Von Christoph Schultheis

Halb voll oder halb leer, fragt der Volksmund mit Blick auf das Wasserglas vor ihm. Und wer (zweitens) beispielsweise die Vokabel pitch im Lexikon nachschlägt, findet für ein und dasselbe Wort eine ganze Latte von Bedeutungen: Platz, Schräge, Tonlage, der ins Spielfeld geworfene Baseball – alles pitch, je nach Kontext. Doch dazu später.

Andererseits (und drittens) heißt es im Fernsehen je nach Wochentag und Sender „Fernsehfilm der Woche“, „Der große Sat.1- Film“, „Wilde Herzen“, „Debüt im Dritten“ beziehungsweise – um die ganze Begriffsverwirrung der jeweils zuständigen Redaktionen komplett zu machen – wahlweise „Fernsehspiel“ oder „TV-Movie“. – Moment, sagen die Traditionalisten, ein Fernsehspiel ist ambitioniert, ein TV-Movie ordinär. Aber ist „traditionell“ nicht auch nur ein anderes Wort für „angejahrt“, werden da jene fragen, die das Fernsehspiel altbacken, das TV-Movie hingegen originell finden oder zeitgemäß.

Zehn Top-Produktionen und nur ein Gewinner

Die Welt ist – nicht erst, seit private TV-Sender anfingen, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen Konkurrenz zu machen – dialektisch. Und in der Beletage des Kurhauses zu Baden-Baden gingen Ende letzter Woche die „10. Tage des Fernsehspiels“ zu Ende. Eine Woche lang hatte sich dort eine Jury zehn Fernsehfilme des vergangenen Jahres – fünf öffentlich-rechtliche, fünf private – angeschaut. Am Ende vergab sie den „Fernsehpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste“ – eine Titelbezeichnung, die übrigens selbst Mitveranstalter 3sat (der die Wettbewerbsfilme zeitgleich ausstrahlte und die Zuschauer ebenfalls per TED abstimmen ließ) in einem Presseinfo „spröde“ nannte.

Das Spektrum der eingereichten „Top-Produktionen“ (3sat) reichte vom nicht nur in seiner Mittelmäßigkeit berechenbaren Post- KZ-Kitsch „Gegen Ende der Nacht“ (eine Gemeinschaftsproduktion von ARD, SDR, ORF und SRG sowie 3sat-Zuschauerpreisgewinner) über die merkwürdige Kafka-Adaption „Das Schloß“ (Arte) bis hin zu der vielleicht mit Abstand unterhaltsamsten, barock-trashigen Banalprovokation „Die Heilige Hure“ (RTL), die einen altgedienten Juryvorsitzenden wie Heinz Ungureit die hilflos-erzürnte Frage entlockte, was um alles in der Welt sich RTL wohl dabei gedacht haben mochte, ausgerechnet dieses Machwerk zu ihm nach Baden-Baden zu schicken. Gewonnen hat den Festspielpreis aber schließlich doch das ZDF bzw. „Der Skorpion“ von Dominik Graf, jener Ausnahmeregisseur also, dem die „Tage des Fernsehspiels“ in diesem Jahr ohnehin eine Retrospektive widmeten.

Und warum ereilte Dominik Graf diese doppelte Ehre? Etwa, weil dessen Vater/Sohn-Drogen- Thriller in der Tat der beste Wettbewerbsbeitrag war? Weil Graf sich weigert, fürs Privatfernsehen zu drehen? Weil er für den „Skorpion“ keinen Grimme-Preis, sondern (ebenfalls am letzten Wochenende) nur einen Telestar bekommen hat? Das alles allein kann es nicht sein. Nein, der Graf ist nun mal ein Filmemacher, der künstlerischen Gestaltungswillen, Talent und Unterhaltsamkeit zufällig unter einen Hut zu bringen versteht.

Nachwuchsentdecker und Nachwuchsverheizer

Qualität ist – nicht erst, seit private TV-Movies anfangen, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehspiel Konkurrenz zu machen – eine Frage des Charakters. Und in der Beletage des Kurhauses zu Baden-Baden hatte man dem Wettbewerb in diesem Jahr erstmalig auch ein „Young Fiction Forum“ zur Seite gestellt, währenddessen zunächst die (guten) öffentlich-rechtlichen Nachwuchsentdecker und -förderer und natürlich auch die (bösen) privaten Nachwuchsabgreifer und -verheizer zu Wort kamen: erstere klagend um Zuversicht bemüht oder sich in Etatfragen und Sendeplatzbeschaffungsmaßnahmen verstrickend, letztere sichtlich zufrieden in der ihnen durch die arrivierte Veranstaltung zugemessenen Rolle des immer noch befremdlichen Aggressors.

Dem Fernsehzuschauer kann's egal sein, ob das Stück Fernsehen, das ihn da gerade (nicht) langweilt, „Fernsehspiel“ oder „TV-Movie“ heißt. Oder besser: Es sollte ihm egal sein, ob ihm nun die Öffentlich-Rechtlichen viel Durchschnittliches und wenig Exzeptionelles servieren oder die Privaten. Senderkonzepte, Traditionen und Produktionsbedingungen, Ethik und Etat mögen noch so unterschiedlich sein, die kleinen Tasten auf der Fernbedienung sind sich viel zu ähnlich. Da wird dann das meist millionenschwere Produkt vieler Tage Arbeit innerhalb weniger Minuten einfach weggezappt.

Zwölf Debütanten und doch keine Idee

Insofern war der ebenfalls erstmalig ins Tagungsprogramm integrierte „Baden-Baden Pitch“ die wohl zeitgemäßeste Veranstaltung. Initiiert von der ambitionierten Berliner Produktionsgesellschaft Flying Moon waren hier zwölf Debütanten von den diversen Film- und Fernsehhochschulen und -akademien im Lande in die altehrwürdigen Kurhaushallen gereist, um den versammelten Produzenten und Förderern innerhalb weniger Minuten ihre Abschlußarbeiten, Drehbücher und Projekte schmackhaft zu machen. Die Pitch- Idee stammt aus Amerika und aus der Werbung, was die jugendlichen Pitcher ebenso zu irritieren schien wie ihr Publikum. Andere Gründe für die teils kläglichen Nachwuchs- Präsentationen zu suchen, die sich entweder im langatmigen Verlesen langweiliger „Treatments“ erschöpften oder in postadoleszentem Selbstbewußtseinsgetue verrannten, würde jedenfalls ein noch schlechteres Licht auf die Zukunft des TV-Films und die Ausbildungsstätten zukünftiger TV-Filmer werfen.

Sollte die Auswahl der Pitcher und ihrer Projekte allerdings auch nur halbwegs repräsentativ gewesen sein, dann ist die ganze Aufregung um privates vs. öffentlich- rechtliches Fernsehmovie bzw. TV-Spiel kaum mehr als ein Sturm im Wasserglas. Und das ist halb leer oder halb voll – je nach dem.

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