: Später Sieg der Moral
■ Der chilenische Diktator Pinochet bleibt in London in Haft
Augusto Pinochet wird nicht freigelassen – gut so. Zum ersten Mal ist der Ex-General, der als Chef der chilenischen Militärdiktatur rund 3.000 Tote und Zehntausende Gefolterte zu verantworten hat, nicht einfach davongekommen. Wenn das Auslieferungsverfahren keine unangenehmen Überraschungen bringt, dann wird der 83jährige Pinochet wenigstens die letzten Jahre seines Lebens hinter Gittern verbringen, da also, wo ihn die überlebenden Opfer und die Angehörigen der Toten schon lange sehen wollten.
Damit wird endlich dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit Genüge getan, die für den Heilungsprozeß der durch die Diktatur tief verwundeten Nation so wichtig ist und bisher verweigert wurde. Freilich: Ein Prozeß außerhalb des Landes ist nicht vergleichbar mit der therapeutischen Wirkung einer juristischen Aufarbeitung im Land selbst. Die haben die Militärs bislang unmöglich gemacht.
Die zivile chilenische Gesellschaft hat hierfür ein Agreement akzeptiert: Relativer wirtschaftlicher Wohlstand und politische Stabilität sind wichtiger als die Aufarbeitung der Verbrechen und die vollständige Demokratisierung der Gesellschaft. Der Prozeß des Übergangs zur Demokratie mußte notgedrungen unter der von der Diktatur erlassenen Verfassung und zu den Bedingungen Pinochets beginnen. Heute, zehn Jahre nachdem die Mehrheit der Chilenen dem Diktator eine weitere Amtszeit verweigerte, ist diese Art von Demokratisierung an ihre Grenzen gestoßen.
Der Prozeß gegen Pinochet im Ausland erzeugt einen Handlungsdruck, der in Chile genutzt werden muß. Überwiegt die Angst, wird das nicht gelingen. Nicht umsonst hat die chilenische Linke, die einen Prozeß gegen Pinochet wünschte, in den vergangenen Tagen gebetsmühlenartig wiederholt, die chilenische Demokratie sei nicht gefährdet. Die Weltgemeinschaft, falls es so etwas wirklich geben sollte, ist aufgefordert, den chilenischen Demokraten Rückendeckung zu signalisieren.
Und sie muß eine weitere Lehre aus dem Verfahren ziehen: Wenn das Wort davon, daß die Luft für Diktatoren dünner werde, ernst gemeint ist, dann muß es gelingen, Menschenrechte auch dann schon zum Maßstab des Handelns zu machen, wenn die Diktatoren noch im Amt sind – und nicht erst, wenn es ein paar tausend Tote später um die Aufarbeitung geht. Bernd Pickert
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen