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Plünderung der Musikgeschichte

■ Der ukrainische Pianist Mikhail Alperin kürzlich bei „dacapo“ und demnächst im KITO

In Bremen kann sich Mikhail Alperin fühlen wie eine begehrte Prinzessin. Das Moscow Art Trio, deren Kompositionen er verantwortet, kann es sich hier leisten, seine Gunst nach Lust und Laune zu verteilen. Schließlich zeichnet das Trio auch beim Bremer Jazz-Label JARO. Mal beehrt es das Vegesacker KITO, mal die Bremer „dacapo“-Konzertreihe – und erntet Hymnengesänge statt Kritiken, Tenor: endlich wahre Weltmusik.

Diesmal war Alperin allein zu erleben und kontemplativer als im Set. Zwar zitiert er mal unverfroren Riesenbrocken aus Strawinskys präpostmodernem, schnittstellenreichem Collagewerk „Petruschka“, doch in der Regel gönnte er dem Zuhörer für eine kleine Tonwendung fast so viel Einhörungszeit wie die Minimalisten vom Schlage Philip Glass. Angefangen hat es aber nicht mit Strawinsky, nicht mit Glass, sondern mit Bartok. Der ließ in einem Meeresstück seines „Mikrokosmos“ die linke Hand schön regelmäßig zwischen zwei gebrochenen Dreiklängen wechseln, um dann die rechte Hand leicht wie ein Kanu über diesen besinnlichen Wellengang zu führen. Buddha ist nahe. So ziemlich dasselbe macht Alperin. Viele Fermate-Pausen rufen dem Zuhörer zu: Bitte Geduld haben und gelassen in die Töne hineinlauschen. Damit war das Motto des Konzerts vorgegeben. Natürlich wurde am heftigsten bei den heftigen, motorischen Stücken geklatscht; natürlich tangieren solche Publikumsvorlieben einen echten Künstler nicht die Bohne; natürlich bleibt er seinem Konzept der ironischen Nachdenklichkeit treu; natürlich weiß er, daß man ihm das als Standfestigkeit anrechnet.

Obwohl Alperin gern gesehener Gast bei diversen Jazzfestivals ist (zum Beispiel in Hamburg oder Berlin), weckt sein Spiel eher Assoziationen der klassischen als der jazzigen Art. So recht postmodern verspielt beendet er den Abend mit einer Brahms-Lisztschen Kadenz mit allen möglichen technischen Schikanen wie doppelten Oktavläufen. Doch hinter dem cool-überlegenen Zitate-Freak verbirgt sich eine erzkonservative, erzromantische Seele. Wenn sich zum Beispiel die linke Hand minutenlang in eine bescheidene, aufsteigende Sekunde ostinatomäßig verbohrt und die rechte Hand eine Melodie schluchzt von der Kitschkapazität von Debussys „Claire de la Lune“, dann geht Ironie flöten.

Und auch ein wenig Mussorgski schimmerte keineswegs distanziert, sondern hemmungslos ungebrochen durch. Mal hörte man Baba Jaga dräuend stampfen, mal das Ballett der Kücken tollpatschig über die Tastatur tanzen. Technisch am beeindruckendsten ist Alperin bei einer Nebensache: Sein Stakkato tanzt elfenleicht über die Tastatur. Weil er so gut ist im impressionistischen Klangtupfen, hört man nicht nur Kücken hoppeln, sondern auch – ein wenig lauter – russische Bären tanzen. Schmunzeln im Publikum.

Daß Alperin als Instrument auch „Stimme“ angibt ist nichts anderes als sympathische Chuzpe. Während sich andere PianistInnen für ihr Mitbrummen der Melodie zutiefst schämen, betrachtet er dies offenbar als Teil der Kunst. Damit ähnelt er John Cage, welcher der Welt zu lehren suchte, alles Unscheinbare, Versehentliche und Nebensächliche zu lieben. Ein bißchen Avantgarde gab es also doch in diesem sehr gelassenen, tonalen Konzert. B.Kern

Am 8.Januar 99 spielt das Moscow Art Trio im Vegesacker KITO

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