: „Der klassische Berliner ist eher geizig“
■ In Berlin gibt es so viele Händler für gebrauchte Bücher wie nirgendwo sonst. Als Ort gehobener Antiquariate spielt die Stadt des Secondhand-Verkaufs keine große Rolle. Das soll sich ändern
Jochen Granier ist ein höflicher Mensch, der seine Berliner Kollegen nicht beleidigen mag. Den hauptstädtischen Markt für alte Bücher bezeichnet der Bielefelder Antiquar und Bundesvorsitzende seines Berufsverbands daher als „zukunftsträchtig“. Daß Berlin in der Branche „im Moment noch keine überragende Bedeutung“ habe, läßt er sich erst auf Nachfrage entlocken.
Dabei hat die Stadt, was die Zahl der Antiquariate betrifft, „das größte Angebot im deutschsprachigen Raum“. Rund 80 Läden, dazu rund 80 Antiquare, die ihr Geschäft auf dem Postweg betreiben, rechnet Volker Kunze vor, der seit 17 Jahren regelmäßig ein Verzeichnis der „Antiquariate in Berlin“ zusammenstellt. Das Faltblatt samt Stadtplan nehmen vor allem auswärtige Besucher zur Hand, die in Berlin auf der Suche nach speziellen Büchern sind und in den Antiquariatshochburgen Charlottenburg, Schöneberg, Mitte und Prenzlauer Berg von einem Laden zum nächsten ziehen.
Doch von „Antiquaren“ mag Granier nur bei einem kleinen Teil der mehr als 150 Händler sprechen. Nur 18 Berliner Mitglieder zählt der Verband, ein Club verläßlicher Lieferanten, ähnlich dem „Verband deutscher Prädikatsweingüter“. Das sind vier Firmen weniger als im kleineren München. Die meisten Händler verkauften nicht antiquarische, sondern „Secondhand-Bücher“, meint Granier. Ein Unterschied, doch gewiß „nicht ehrenrührig“, schließlich müsse „die Massenproduktion der vergangenen 50 Jahre recycelt werden“.
Die große Zahl der Händler in Berlin führt der Charlottenburger Antiquar Knut Ahnert auf die niedrigen Mieten und die große Alternativszene zurück. „Die Geschäfte hatten eher eine soziale Funktion“, glaubt er, „da wurde mittags aufgemacht, Tee aufgesetzt und Schach gespielt.“ Doch das funktioniere nur „bei geringen Ansprüchen, bei Ofenheizung und Spaghetti mit Tomatensoße“.
Nicht wenige dieser Amateur- Antiquare kannten sich auf dem Markt kaum aus, verkauften manches Buch viel zu billig. Auch die hinterlassenen Bibliotheken bürgerlicher Familien, die Berlin nach dem Krieg verließen, und ein Mangel an kaufkräftigen Kunden trugen zu niedrigen Preisen bei. „Lastwagenweise“, erinnert sich Ahnert, hätten westdeutsche Antiquare die Bücher aus Berlin abtransportiert, um sie mit Gewinn weiterzuverkaufen.
Inzwischen habe sich das Preisniveau zwar angeglichen, doch sei „der klassische Berliner“ noch immer „eher geizig“ und daher „ein schwieriger Kunde“. Die „Bereitschaft, in geistige Werte zu investieren“, ist nach Ahnerts Erfahrung „in Süddeutschland entschieden größer“. Nicht umsonst sei die Stuttgarter Antiquariatsmesse die erfolgreichste im ganzen Land. Kein Wunder also, daß sich die gehobenen Berliner Häuser schon längst per Internet, Katalog oder Versteigerung auf den westdeutschen Markt verlegt haben. Gerade zehn Prozent des Umsatzes macht etwa das Schöneberger Antiquariat Jeschke, Meinke & Hauff mit einheimischen Kunden.
Nach dem Fall der Mauer hatten Antiquare auf Bücherschätze aus dem Osten spekuliert. Doch die Hoffnung trog. Im ländlichen Umland gab es noch nie nennenswerte Bibliotheken, und die spärlichen Bestände hatte schon die DDR in Valuta umgewandelt. Auch die Antiquare im Ostteil der Stadt geraten zunehmend in Schwierigkeiten: Das Interesse an Büchern aus der DDR erlischt.
Jetzt hofft die Branche – wie manch andere andere auch – auf den Regierungsumzug. „An den Regierungsleuten werden wir zwar keine Freude haben“, hat der Schöneberger Antiquar Hans-Joachim Jeschke von Bonner Kollegen gehört, „aber die Lobbyisten und Verbandsvertreter sind als Kunden interessant.“ Gemeinsam mit Ahnert und einer Handvoll weiterer Kollegen will Jeschke ein wenig nachhelfen. Vom 9. bis 11. Juni 2000 laden sie Händler und Kunden aus dem In- und Ausland zur „Liber Berlin“, der ersten Berliner Antiquariatsmesse, ins Grand Hyatt am Potsdamer Platz. Die Berliner Edelantiquare wollen beweisen, daß der Begriff „zukunftsträchtig“ mehr sein kann als nur ein großes Wort für einen kleinen Markt. Ralph Bollmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen