: Jetzt ein bißchen "Bravo"
■ Seit seiner Gründung galt die Jugendbeilage der "Süddeutschen Zeitung" als Abziehbild für das moderne Magazin. Nun ist "jetzt" in die Jahre gekommen und soll selbst ganz anders werden
Nein, es wird kein Relaunch. Auch kein Rebrush. Kein Redesign und schon gar kein Remake. Rudolf Spindler verzieht das Gesicht: „Diese R-Worte hassen wir, da bekommen wir einen Ausschlag.“ Das Jucken dürfte bei Spindler und seinen Kollegen Marc Deckert und Timm Klotzek bis März unvermeidlich zunehmen. Denn wie, bitte schön, soll man sonst nennen, was die drei Redakteure vorhaben?
Ab März nämlich wird das jetzt- Magazin, die montägliche Jugendbeilage der Süddeutschen Zeitung, ein völlig neues Gesicht erhalten. Ein neues Gesicht? Dabei galt jetzt seit seiner Gründung vor fünf Jahren doch als das Abziehbild für das moderne Magazinmachen. Die Verlage bedienten sich in der Redaktion der auf ein paar billige Papierseiten gedruckten Beilage, als sei sie ein Jungbrunnen. Egal ob Stern, Petra oder das altväterliche Zeit-Magazin. Der ganze Kiosk, so schien es, sollte an dem munteren Wesen von jetzt genesen. Und auch das etwas verknarzte SZ-Feuilleton bestellte hin und wieder mal einen Aufsatz zur Popkultur aus der munteren Frischzelle um die Ecke.
Der Erfolg hatte Gründe: Schließlich war der zusammengewürfelten Mannschaft eine neue Bildsprache gelungen, indem sie distanzlose Fotoblicke mit gestrenger Regellosigkeit der Graphik kombinierte. Und die Geschichten in jetzt waren oft unbekümmert und oft lebensnah. Da gab es die wöchentliche „Warten auf...“- Rubrik, die Geschichten aus der Welt zwischen Jugendzimmer und Popkosmos lieferte, Tagebücher, Porträts und hin immer wieder auch ein richtig ernstes Thema wie Armut, Afrika oder gar Altern, das so aussah wie der Rest von jetzt und nicht wie trübe Erwachsenenprosa.
Kaum irgendwo waren freilich auch die Bedingungen für derlei Unbekümmertes so gut wie hier: Schließlich ist einem Magazin, daß sich nicht am Zeitschriftenregal feilbieten muß, sondern einem wohl eingeführten Blatt wie der SZ beiliegt, schon von den Produktionsbedingungen mehr Experimentieren erlaubt als normalen Magazinredaktionen, die von ihren Verlagen auf gnadenlose Markt- und Nutzwerttreue eingeschworen werden. Die Leute von jetzt in der Anfangsphase haben aus der Ungebundenheit einfach etwas gemacht. Doch irgendwann schien mit dem Erfolg der Jugendzauber des Heftes verflogen. Immer mehr selbstreferentielle Geschichten und abgehobenes Geschwätz („Darf man eine H & M- Jacke tragen, obwohl sie nur 350 Mark kostet, wenn man eigentlich auf Helmut Lang steht“) fanden in das Heft.
Und irgendwann fragte man sich beim stets aufs Portemonnaie blickenden Süddeutschen Verlag, ob man so tatsächlich junge Leser für die SZ gewinnt oder ob man sich das Ganze nur für ein bißchen Anerkennung in Münchens junger Kulturschickeria leistet.
Schon vergangenen Sommer hatte sich an der Sendlinger Straße eine Arbeitsgruppe zusammengefunden, die das Heft völlig neu erfinden sollte. Deren Ergebnisse sind nun vom Verlag offiziell abgesegnet: Der bisherige Redaktionsleiter Philip Reichardt, nicht an den Zukunftsentwürfen beteiligt, verläßt „im gegenseitigen Einvernehmen“ den Verlag. Ebenso wird sich bald Gestaltungschef Markus Rindermann verabschieden. Statt Reichardt hatte man zunächst an jetzt-Autor Christoph Amend gedacht, doch der folgt nun SZ-Redakteur Giovanni di Lorenzo nach Berlin zum Tagesspiegel. Die Leitung übernimmt nun recht kurzfristig ein Trio aus der Redaktion: Timm Klotzek (25) und Marc Deckert (28), bisher Redakteure, sollen gemeinsam mit dem bisherigen Chef vom Dienst, Rudolf Spindler (36), jetzt jünger, aktueller und informativer machen.
Soviel ist schon sicher: Es bleibt beim Magazinformat, damit die Zielgruppe der 15- bis 21jährigen sich das Heft Montag früh schnell aus der Zeitung des Vaters fingern kann. Stärker als bisher sollen politische Themen behandelt werden. Die bisherige Berührungsangst mit den Bravo-Themen „Liebe, Sex und Zärtlichkeit“ soll zudem überwunden werden – wenn es auch, wie alle drei aus der neuen jetzt- Spitze betonen, bei jetzt niemals einen „Dr. Sommer“ geben werde. Während andere Medien immer die skandalisierten Aspekte der Jugend betonten, wolle jetzt die Normalität des Alltags der Jugendlichen beschreiben und begleiten.
Wenn man sich mit den drei designierten Chefs unterhält, die ihre Verträge erst gestern zur Unterschrift bekamen, wird schnell klar, wie sehr die Ideen noch im Fluß sind. Die Kompetenzen, sagen sie, entwickelten sich gerade.
Gefeilt wird noch daran, wie mehr Service geboten werden kann. Selbst die „Lebenswert“-Liste steht zur Disposition. Verstärkt werden soll auch die Bindung ans Mutterblatt. Der Süddeutsche Verlag läßt sich die Schülerzeitung mit anderen Mitteln nicht ohne Hintergedanken viel Geld Kosten, es kursieren Verlustschätzungen von 4,5 bis zu 6 Millionen Mark pro Jahr. Querverweise sollen zukünftig die jungen Leser noch stärker auf die Idee bringen, doch auch einmal die restliche Zeitung zu lesen. Stefan Kuzmany, Lutz Meier
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