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Blasenschwacher Harold findet Maud

■ Es menschelt mächtig und erfolgsträchtig in Rolf Kemnitzers Oma-und-Enkel-Stück „Herzschrittmacherin“, das Stefan Nolte im Staatsschauspiel Dresden zur Urauführung brachte

„Letzte Nacht hatte ich einen Alptraum“, bekannte der 34jährige Rolf Kemnitzer nach der Vorstellung seines Stückes „Herzkasperle“ bei den Autorentheatertagen Hannover im Mai, „ich träumte, daß der Text nur gefurzt wird. In der Vorstellung war ich sehr erleichtert, als das erste Wort fiel.“ Erleichtert, aber offenbar noch immer unzufrieden. Denn für die offizielle Dresdner Uraufführung hat Kemnitzer Schluß und Titel der in Hannover gezeigten Stückfassung geändert. Es heißt jetzt „Herzschrittmacherin“, menschelt mächtig im Happy-End und besitzt damit endgültig alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bühnenlaufbahn.

Der in Berlin lebende Autor, der auch als Schauspieler arbeitet, erzählt geradlinig und geheimnislos. Wie Jochen im Auftrag der Familie seine Oma Magda zum Nervenarzt bugsieren soll, zwecks Entmündigung. Daran jedoch scheitert, weil die vitale, aber vereinsamte Großmutter ihm überreichlich bietet, woran er bisher Mangel litt: Beachtung und Zuneigung. So findet sich, wenn auch widerwillig, was ohne einander nicht (mehr) weiß, wozu es auf der Welt ist.

Magda badet Jochen, füttert ihn und kleidet ihn in Opas Anzüge. Jochen umsorgt Magda und lernt von ihr sein Hobby im großen Stil auszuüben. Die beiden gehen zusammen klauen. Und allmählich überwindet der Enkel sogar seine Blasenschwäche. Bis zum letzten, großen Coup. Vor dem geplanten Bankraub ereilt ihn wieder das alte Leiden, worauf ihn Magda mit ihrem Ersparten in die Sonne schickt. Aber – „Harold und Maude“ lassen grüßen – weil Jochen ohne die Großmutter nicht sein kann, kehrt er zurück und nimmt sie mit sich nach Berlin.

Eine Liebesgeschichte also. Wie zwei sich helfen können, Menschen zu werden und zu bleiben bis zuletzt. Geschrieben im Alltagssprech, manchmal mit einem leisen Anflug der Sprachschönheiten aus Einar Schleefs „Totentrompeten“. Und vielen lakonischen Witzigkeiten. Für die das Publikum im Dresdner Theater Oben, einer Nebenspielstätte des Staatsschauspiels, sich mit herzlichem Lachen erkenntlich zeigte.

Das ist gut und schön, und der 33jährige Stefan Nolte inszeniert es vom Blatt. Philipp Otto als Jochen macht schon in seinem ersten Auftritt alles klar. Das Öffnen der Tür wird zur veritablen Slapstick- Nummer, danach ist er bloß noch großer Junge mit ungläubigen Augen und Schmollippe, nichts von der verletzenden Bösartigkeit, mit der ein gelernter Außenseiter die erfahrenen Demütigungen blindlings an die Nächsten weitergibt.

Nolte läßt die von der Oberfläche des Gustostücks verdeckten Abgründe nur andeuten, in sie hinein begibt er sich nie. Wie war das mit Magdas „Großer Liebe“, dem Helden von der Waffen-SS? Und mit Opa Hermann in „Litzmannstadt“, wo die Nazis das erste Ghetto errichteten, von dem aus der Weg nach Auschwitz führte? Geblieben ist davon nur Magdas krächzende Zarah-Leander-Sentimentalität. Dabei hatte Ursula Geyer-Hopfe den Weg gewiesen, wie der behäbige, um den Urnenaltar des verblichenen Opas organisierte Spitzendeckchen-Realismus aufzubrechen gewesen wäre.

Sie spielt die 87jährige Magda nicht als zerbrechlich-gemütvolle Greisin, sondern changiert zwischen zackigem Fregattenkapitän ohne Schiff und auf der Couch gestrandetem Walroß. Zur furchteinflößenden Kleinunternehmerinnen-Perücke die passende, getönte Brille, dahinter die Augen herrisch blicken. Eine böse Männin. Mit zarten Anwandlungen. Doch so untergründig grollend die Staatsschauspielerin auch tönen mag, die Regie legt sie unwiderruflich fest auf die sympathische Alte. Den Zwiespalt von Mensch und Monster, von mörderisch-entschlossener Energie und mitleiderregender Sehnsucht nach Würde und Zärtlichkeit darf Frau Geyer-Hopfe nicht ausloten. Vielleicht hätte eine kompromißlose Darstellung dieses sehr deutschen Charakters die Adventsstimmung in Dresden zu sehr gestört. Nikolaus Merck

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