piwik no script img

Neues aus der Altstar-Gruft

Das begeistert aufgenommene Nostalgie-Duell der großen Charaktere Boris Becker und John McEnroe zeigt die Probleme der jüngeren Tennisgeneration auf  ■ Aus Berlin Mathias Stuhr

Wer ein Gefühl für die magischen Momente des Sports hat, den kann auch heute eine Begegnung zwischen John McEnroe und Boris Becker nicht kalt lassen. Der New Yorker Schöngeist, der daheim eine Kunstgalerie betreibt, hatte „so viele Kameras wie in Berlin“ auf der Senioren-Tour im ganzen Jahr noch nicht gesehen. Mit dieser Turnierserie huldigen McEnroe und andere Altstars vergangenen Zeiten. Und in der mit 7.732 Karten ausverkauften Max-Schmeling-Halle wurde gehuldigt, auf eine sehr angenehme Art sogar. Beim 6:4, 6:4 für Becker zeigten beide Spitzentennis, obwohl sich Becker (31) so ganz langsam vom Vorruhestand ins Tennis-Rentenalter vorzuspielen scheint. Seine Pläne, nächstes Jahr endlich sein erstes Sandplatzturnier zu gewinnen, wirken sehr ambitioniert, der 39jährige McEnroe erschien spritziger.

Becker schlug immer noch sehr gut auf – einige Berliner Zuschauer wurden fast erschossen –, McEnroe retournierte einige Male auf Weltklasseniveau. Mit seinen klassischen Netzattacken trieb er die Zuschauer zu Begeisterungsstürmen, doch wahrhaft gefährden konnte er Becker, der die kurzen Schwächephasen des New Yorkers konsequent ausnutzte, nicht.

Es ist ja immer ein Problem mit diesen Schaukämpfen. So richtig ernst kann es ja nicht zugehen, aber nur schlappe Säcke will auch keiner sehen. Es klingt schwer glaubhaft, aber beide wollten tatsächlich gewinnen. McEnroe, obwohl vertraglich dazu verpflichtet, wurde sogar abgenommen, daß er sich wirklich ärgerte und den herzigen Berliner Schiedsrichter ernsthaft anmachte.

Ansonsten sorgt sich der Ballkünstler sehr um das Herrentennis. Marcelo Rios verkörpere „nur Negatives“, machte er seinem Ärger in einem Spiegel-Interview Luft. Selbst Boris Becker steht anscheinend schon mit halbem Bein in der attraktiven Gruft der Ex-Weltklassespieler mit Flair und Persönlichkeit. McEnroe lobte, der Deutsche sei „der letzte große Charakter“ im Profitennis, ein Überlebender einer offenbar aussterbenden Art. Welch Klang muß das Duell der dreimaligen Wimbledon-Sieger heute noch haben, wenn mehr Menschen dieses Match sehen wollen als das Finale eines durchschnittlichen ATP-Turniers? Ist diese offensichtliche Verklärung der Vergangenheit nur der Tribut an herausragende Spieler, oder offenbart sich an diesem geliebten Duell tatsächlich die Krise des (männlichen) Profitennis? Was fehlt den heutigen Profis, was Becker und McEnroe haben oder zumindest hatten?

Zum direkten Duell der beiden Tennisgenerationen kam es zwischen 1985 und 1992 nämlich nur zehnmal, acht Matches gewann der jüngere Becker. Zumindest eine Begegnung zwischen ihnen wird immer im Olymp der Match-Legenden stehen: das Davis-Cup- Abstiegsspiel im Juli 1987 in Hartford. Nach unglaublichen 6:39 Stunden gewann nicht nur Becker das Spiel, sondern die Sportgeschichte ein weiteres Kapitel. Das 4:6, 15:13, 8:10, 6:2 und 6:2 war ein Marathonlauf auf Sprintniveau, der zweite Satz (2:35 Std.) gilt auch heute noch als einer der besten und aufregendsten Sätze der Tennishistorie.

In Berlin wurde also kein ehemaliges Dauerduell fortgesetzt, wie es Borg–McEnroe auf der Senioren-Tour vorspielen, sondern demonstriert, was aufregendes Tennis ausmachen kann. Das vergangene ATP-Finale zwischen Carlos Moya und Alex Corretja zum Beispiel wollte außerhalb Spaniens kaum jemand sehen.

In diesem Jahr gibt es im Herrentennis eine Anhäufung von Problemen, die bei dem Duell Becker–McEnroe gebündelt aufgedeckt wurden. Die zugespitzte Personalisierung der Becker-Graf- Ära scheint sich in Deutschland zu rächen, ein echtes Interesse am Sport Tennis wurde kaum vermittelt, ähnliche Stars kommen nicht nach. Es ist aber nicht nur die Sehnsucht nach der deutschen Nummer eins, sondern die nach den „Typen“. Diese erschienen zwar auch früher oft langweilig, wie etwa Ivan Lendl, aber, und das ist ein entscheidender Unterschied, sie lebten ihren Sport, und sie liebten ihn. Ein nicht nur sportliches Phänomen ist zu betrauern, das Personen zu gut bezahlten Akteuren werden läßt, die das schwer zu verifizierende Gefühl vermitteln, nur ihren „Job“ zu machen. Niemand spricht den heutigen Profis auf den superschnellen Belägen ihr sportliches Können ab, aber Becker, McEnroe und erst recht Connors oder Borg taten nicht nur einen „Job“, sondern gingen ihrer Profession mit Hingabe nach. Sie wollten Erfolg, Respekt, Geld, Spaß, am besten alles zusammen. Der Weltranglisten-Zweite Marcelo Rios ist sportlich sicher nicht schlechter als viele seiner Vorgänger, provoziert aber nicht nur McEnroe durch seine Gleichgültigkeit und Halbherzigkeit. Moya, Corretja und Rios nimmt niemand ab, den anderen sportlich fair zu hassen, ihm alles abzuverlangen.

John McEnroe haßte es sogar am Dienstag abend, gegen den acht Jahre jüngeren Becker zu verlieren, das war bei aller Show nicht zu übersehen. Der Amerikaner ging und geht an der Mittelmäßigkeit der Welt zugrunde, die nichts Schönes produziert und für dieses Nichts noch nicht einmal einsteht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen