: Ein smarter Tritt in die Fresse
■ Stewart Home legt mit „Stellungskrieg“ eine wunderbare Geschmacklosigkeit vor
Wenn man in London aus der U-Bahn steigt, kommt es vor, daß einem in die linke Hand eine Flugblatt der Worker's Union, in die rechte ein Fascho-Blatt gedrückt wird. Auf einem Platz gesellen sich einvernehmlich Anarchisten gegensätzlicher Couleur. Lechts und rinks würde Jandl dichten. In eben diese grelle Szene läßt einen Stewart Home mit seinem in der Edition Nautilus erschienenen Roman Stellungskrieg ziemlich rüde plumpsen.
Es gibt die Separatisten von der Cockney Nation, die sich als Tierschützer aufführen, Pro-Situationisten, die Guy Debords Schriften nach versteckten Botschaften absuchen, Dritt-Positionisten, die dem Hitler-Gegenspieler Otto Strasser nacheifern und Mein Eines Fleisch, eine Gruppe, die nur aus einer verschrobenen WG besteht. Jeder Häuserblock scheint eine eigene Splittergruppe mit stets wirrköpfigen Führern zu unterhalten.
Wer könnte besser durch diesen Underground leiten als der Redskin Terry Blake? Er ist ein „Arbeiterklassekrieger“, ein „Boot-Boy“ mit Springerstiefel und Glatze, der seinen Marx beim „kollektivistischen Rhythmus des Geschlechts“ rezitiert und so für einen „kurzen Moment den Kommunismus als orgiastische Wahrheit“ erfährt. Bei jeder Gelegenheit läßt Terry seine Union-Jack-Unterhose runter, um ein Abzeichen der Macht in Verruf zu bringen, bevor er mit seinem allzeit bereiten „Liebesstab die Kacke den Darm hochschiebt“. Dazu hört er mehr als fragwürdige Bands wie die Ex-Punks Screwdriver, die ins Nazi-Fahrwasser geraten sind.
Dabei erweist sich der Autor, der mit Cranked Up Really High einen Insider-Bericht über Punks ablieferte, als genauer Kenner von subkulturellen Zeichen und Strategien. So gelingt es ihm, seinen Hauptdarsteller, eine schillernde, polymorph-perverse Figur, mit einem Sammelsurium von Ansichten und Abzeichen auszustatten. Terry Blake ist zu einem redegewandten, frenetisch vögelnden Nihilisten überzeichnet, der Alex aus Clockwork Orange in manchem ähnelt, obwohl er den Roman „als überbewertetes Stück Scheiße“ bezeichnet.
Homes monströser Anti-Held ist gewiefter als Alex. Er kennt sich aus in der anarchistischen Subkultur. Einer Splittergruppe verkauft er ein Bluttestgerät mit dem sich die Führungsqualitäten ihres Anführers testen ließe, einer anderen eine Mine mit Wecker als Atombombe. Eine besonders gute Nase hat er für die Verlogenheiten der Mittelklasse-Radikalen, die sich aus theoriepolitischen Gründen ein neues Leben basteln. So erpreßt er den Anführer von Mein Eines Fleisch, als er ihn beobachtet, wie er mit Kreditkarten Kunstbände ersteht, von denen er stets vorgibt, sie geklaut zu haben.
Auch die nymphomanische „Hippie-Braut“ Joyce, von der Geheimpolizei MI 7 auf ihn angesetzt , verliebt sich in den smarten Boot-Boy, der nur aus Anarchie und reichlich entlegenen Sexualpraktiken besteht. In einer furiosen Parallelmontage wird ein Stellungskrieg des ungleichen Pärchens auf der Fensterbank eines baufälligen Hauses gegen die Massakrierung einiger Polizisten geschnitten. Ansonsten ist der Ton – wie schon in Purer Wahnsinn – eher ein Stakkato, das aggressiv und derb wie seine Hauptfigur dahertrampelt. Selbst die zahlreichen Diskussionen um die reine anarchistische Lehre sind immer ein Schlagabtausch, auf den großflächig angelegter Gruppensex folgt.
Stellungskrieg ist ein dampfendes Stück Scheiße, ein Gitarrenriff, das „den Kunstfurzer und Trendies mächtig in die Nase steigt“. Es ist ein Meisterwerk des schlechten Geschmacks. Volker Marquardt
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