: Immer nur Schraube auf Mutter drehen?
■ AK Ochsenzoll: „Heidemörder“ Holst klagte schon im Januar über „Scheintherapie“
Ist die Suspendierung der Therapeutin Tamar S. ein Ablenkungsmanöver der Klinikleitung des AK Ochsenzoll? Nachdem der Vergewaltiger und Mörder Thomas Holst vor 10 Tagen aus dem Hamburger Psycho-Knast geflohen war, schien die Mithilfe-Frage schnell geklärt: Seine Therapeutin Tamar S. habe es schon seit längerem an „der notwendigen Distanz“ zu ihrem Patienten Holst fehlen lassen, so Klinikchef Klaus Böhme. Sie leide an einem Helfer-Syndrom.
Eigene Versäumnisse kamen indes kaum zur Sprache, sowohl, was die Sicherheit des Hauses 18 des AKO angeht, als auch die Behandlungsmängel bei psychisch gestörten Kriminellen. Dabei hatte der „Heidemörder“ Holst bereits im Januar dieses Jahres beklagt, daß ihm im AKO nicht die nötige Behandlung zuteil würde. In einem 13seitigem Dossier (vgl. taz vom 21. 1. 95) wirft Holst der Klinikleitung vor, daß „Scheintherapie“ statt Hilfe und stumpfsinniges Schraube-auf-Mutter-Drehen statt sinnvoller Beschäftigung die Regel sind.
Das Gesetz sieht in Hamburg aber gerade vor, daß psychisch gestörte Kriminelle nicht nur weggeschlossen und verwahrt werden. 1989 wurde deshalb das „Maßregelvollzugsgesetz“ (MRVG) geschaffen, um kranken Straftätern Rechte zuzusichern. Um diese Rechte einzuklagen, fertigte Holst das Dossier an, erstattete Strafanzeige und benannte 12 Zeugen.
Er sei bereits ein halbes Jahr im AKO, schrieb Holst im Januar, doch noch immer gebe es keinen Therapieplan, wie das MRVG ihn vorschreibt. Die Behandlung sei eine „Scheintherapie“; für die meisten Insassen ginge sie über ein 50minütiges Gespräch pro Woche nicht hinaus. Das MRVG sehe außerdem Fortbildung und Förderung vor. Doch die Arbeitstherapie des AKO beschränke sich auf „Nägel in Schellen drücken“.
Klaus Böhme, Chef der Ochsenzoller Psychiatrie, wollte gegenüber der taz damals keine Stellung nehmen. Die Holst-Therapeutin Tamar S. gab jedoch in einem Interview in der heutigen Ausgabe des Spiegel an: „Der Chefarzt Dr. Knipp hat mir die Anweisung gegeben, mich persönlich um Holst zu kümmern.“ Holst habe sich auf der Station – siehe Dossier – nicht ausreichend therapeutisch behandelt gefühlt. Von den Einzelgesprächen hätten die Ärzte gewußt.
Fluchthelferin sei sie „klipp und klar“ nicht. Schon allein deshalb, weil sie weitere Morde durch Holst „leider nicht ausschließen“ könne. Der Klinikleitung sei sie im übrigen schon lange „unbequem“ und passe ihr „nicht ins Konzept“.
Silke Mertins
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