Kettenrauchend Marmelade pumpen

■ Sich besser fühlen mit Techno aus Köln: Eine Harvest-Label-Party im ColumbiaFritz

Irgendwann war es auf einmal da. Harvest. Nicht nur, daß der Name sich amtlich anhörte, es war auch nicht irgendein Plattenlabel – sondern eine Tochterfirma der EMI, mit glorreicher Vergangenheit aus den Siebzigern. Jetzt wieder reaktiviert, um fortan Plattform für elektronische Musik zu sein. So hieß es, und so verhielt es sich auch.

Monat für Monat purzelten Platten auf den Markt, die vor allem eines gemeinsam hatten: sie zentrierten sich irgendwie um Ingmar Koch alias Dr. Walker, Betreiber des Liquid Sky in Köln. Dieser schien irgendwie die Chefs der großen Firma davon überzeugt zu haben, daß es das beste für sie sei, wenn sie ihm ihre Tochterfirma überlassen würden. Was um so mehr erstaunte, als Dr. Walker jahrelang vor allem durch eines aufgefallen war: die wohlbeabsichtigte Mißachtung gängiger Veröffentlichungsspielregeln der Plattenindustrie. Als freundlicher Wahnsinniger verkauft er statt von einer Platte hunderttausend Stück lieber tausend Stück von hundert Platten. Und das am liebsten in einem Jahr und auf möglichst vielen verschiedenen Labels.

Mit Harvest zentrierte sich das etwas, und so kommen also die Platten von Air Liquide, Khan & Walker und die Musik diverser anderer Projekte dort heraus. Das ist dann mal Techno, mal Elektro, mal fast Ambient, mal so etwas wie gelooptes Easy Listening, vermischt mit schmieriger Siebziger- Jahre- Filmmusik. Kurz: fast alles, was gefällt. Schöne Musik in schönen Covers. Manchmal ein wenig belanglos oder zufällig, aber wer so dermaßen viele Platten veröffentlicht, kalkuliert wahrscheinlich ein, daß einige nicht für die Ewigkeit bestimmt sind. Es muß sie ja niemand kaufen.

Wahrscheinlich blickt Dr. Walker selbst mittlerweile nicht mehr durch, was er unter seinen diversen Pseudonymen auf den unterschiedlichsten Labels schon alles veröffentlicht hat. Nicht zuletzt deshalb, weil er angeblich eine der größten Synthesizersammlungen zwischen Köln und Wladiwostok besitzt und schon hinter zehn Meter langen Tischen, vollgestellt mit obskurer Elektronik, Auftritte absolviert haben soll. Hier ein rarer Kasten aus den Siebzigern und dort eine undurchschaubare Tastatur von sonstwoher.

Schaut man sich an, was in den letzten Monaten aus seinen Schaltkreisen auf Tonträger gebannt wurde, so war es mit „16 Lovesongs for the Spice Girls“ irgendwie Listening Music oder Elektro der leicht bollerigen Sorte. „Cock Rockin' Beats“, wie es der Titel einer Platte versprach, waren es dann doch nicht wirklich, aber Cologne Rockin' Beats auf alle Fälle. Und das rockt auch in Berlin.

Wie man beim letzten Auftritt von Jörg Burger alias The Modernist feststellen konnte. Denn Dr. Walker würde den Teufel tun und sich ohne seinen tanzbarsten Act auf den Weg zu einer Labelparty machen. Wenn Harvest auf Reisen geht, kann The Modernist nicht fehlen. Sein Debüt-Album rettete so manch verlorenen Geist durch den vergangen Winter, vor allem die Kritikerseelen, die ihm von George Michael bis DJ Pierre so ziemlich jedes Lob hinterherschmissen, das elegant war.

Was auch insofern naheliegt, als Burger immer gut angezogen hinter seine Knöpfchen tritt, und wenn er kettenrauchend bei seinen Live-Sets die Marmelade pumpt, dann wackelt so manche Tasse. Techno, der reduziert wurde, nicht um funktionaler zu werden, sondern um sich besser anzufühlen. Das ist dann zwar nicht weit weg von dem, was auch auf Platte zu bekommen ist, aber das ist auch gut so: Denn wer dazu nicht tanzt, dem wurde im Laufe des Vormittags ein gebrauchter Tag angedreht. Tobias Rapp

Ab 22 Uhr im ColumbiaFritz, Columbiadamm 13–21