„Ich springe nicht, ich stapfe“

Unerbittlich unnachsichtig gegen sich selbst: Franz Fühmann war sich selbst der rigoroseste Zensor. Das widerspruchsvolle Leben des DDR-Schriftstellers ist jetzt in einer opulenten Biographie in Bildern, Dokumenten und Briefen nachgezeichnet  ■ Von Michael Rohrwasser

Ist es Widerspruch, Ungleichzeitigkeit, Schizophrenie? 1956 setzt sich Franz Fühmann in einem Gutachten dafür ein, daß Nietzsche, T.S. Eliot, Benn und Kafka in der DDR publiziert werden sollen: „Eine solche Bibliothek würde dem Ansehen unserer Republik sowie des gesamten sozialistischen Lagers überaus dienlich sein.“ Und kurz darauf schreibt er an einen Literaturwissenschaftler, der sich in seiner Arbeit beschnitten fühlt: „Für uns ist heute das Werk – sagen wir Hans Marchwitzas – wichtiger als das Werk Kafkas.“ Eine wenig befriedigende Antwort hieße: Hier schreibt ein Kulturfunktionär.

Eine Dekade später, ein anderes Beispiel. Im Nachwort zu seinen Nachdichtungen von Miklós Radnóti schreibt Fühmann: „In diesem selbstauferlegten, zu den höchsten Gipfeln der Poesie strebenden, mit zähestem Fleiß und einer unerbittlichen Selbstkontrolle durchgestandenen Reifeprozeß wuchs er zu einem der bedeutendsten und völlig unverwechselbaren Poeten seiner Generation.“ Und kurz darauf, an Sarah Kirsch: „Warum übersetzen Sie eigentlich? Sie machen doch Eigenbau, und was für einen guten!“

Man könnte mit einiger Plausibilität sagen, der (schauerliche) Satz über Radnóti sei Selbstbeschreibung, aber wie viel schöner und überzeugender klingt das Lob für die Lyrikerin Sarah Kirsch. „Kulturfunktionär“ oder „Fürstenaufklärer“ sind Begriffe, die sich bei der Lektüre der versammelten Dokumente zwar immer wieder aufdrängen, aber die Sprache der Qual, die unendliche Legitimationsarbeit, mit der Autoren wie Trakl, Freud, Benn, Kafka oder eben die eigenen Arbeiten gerechtfertigt werden, sind wohl nicht allein den Auseinandersetzungen mit einem Staat zu verdanken, der sich besserwisserisch und spießig (und terrorisierend) auf die Tradition der Literatur und ihre Autoren einließ. Es ist auch Fühmanns ganz eigener Kampf, der immer aufs neue und immer aufs ausführlichste seine Argumente gegen einen stumpfen und überheblichen Gegner formuliert, der von ihm mehr „Härte“ fordert und ihm „Neigung zum Individualismus“ vorwirft.

Natürlich sind die Geheimakten beklemmend, die Fühmanns Schaffen seit den fünfziger Jahren begleiten (dazwischengeschoben die klugen Beobachtungen eines Kurt Batt, die ebenso im geheimen blieben). Bemerkenswert ist aber doch, wie wenig Fühmann sich auch nach Jahrzehnten immer wiederkehrender Erfahrungen diesem Kampf entzogen hat, wie seine langen Briefe immer wieder dieselben Einwände rekapitulieren. Unbefriedigend bleibt da Marcel Reich- Ranickis Psychogramm, hier habe man den Individualisten, sehnsüchtig nach dem von der Geschichte legitimierten Kollektiv. Fühmann hat sich zu einer lebenslangen Sisyphusarbeit verdammt, und ein großer Band wie der vorliegende und ein großes Lesepensum sind erforderlich, um sich das Langwierige dieses Prozesses zu vergegenwärtigen.

Mehr noch als die beiden bereits erschienenen Briefbände oder Hans Richters Biographie von 1992 dokumentiert die vorliegende „Biographie in Bildern, Dokumenten und Briefen“ diesen Kampf ums Schreiben; auch die körperlichen Wandlungen, die Veränderungen seines Gesichts sind aufs irritierendste sichtbar. Das Buch enthält überraschendes Material und verrät in der Komposition von Arbeitsnotizen, Fotos, Briefen, Interviews, Werkauszügen, Personalakten aus Moskau, MfS-Akten und letzten Aufzeichnungen aus der Charité eine tiefe Kenntnis von Werk, Biographie und kulturpolitischem Umfeld.

Alltägliche Störmanöver

Um so auffälliger ist die Zurückhaltung der Herausgeberin, die nur aufs knappste kommentiert (gerade zehn Seiten bei einer Flut an neuem Material). Das hat Methode, auch wenn es manchmal die Neugierde des Lesers arg strapaziert; sie heißt: Lies weiter und erschließe die Antworten aus dem Kontext! Dennoch bleibt ein kritischer Einwand: Das ganze Ausmaß der Beschattung und der „Bearbeitung“ Fühmanns, die Störmanöver gegen seinen Alltag, die verlegerischen Versuche, in sein Werk einzugreifen (etwa bei seinem Trakl-Buch), bleibt beinahe undokumentiert. Die Namen seiner Widersacher in Partei und Verlagen, die bekannt sind, werden hier nicht genannt. Daneben nimmt sich die Verwechslung der Professoren Emrich und Emmerich (S.195) nebensächlich aus.

Aber man gewinnt Einblick in die Schreibproduktion, und dort zeigt sich noch deutlicher, daß sein Gegner nicht allein eine bornierte Kulturbürokratie war oder der „Klassenfeind“, der noch in den sechziger Jahren beschworen wird. Die abgebrochenen Projekte sind keinen Funktionären zum Opfer gefallen, sondern Fühmanns Rigorismus, seiner „Strenge“ und „Exaktheit“ – das sind Kurt Batts Stichworte für Fühmanns Schreiben. Mit Blick auf seinen „Bruder im Geiste“, E.T.A. Hoffmann, könnte man der Charakterisierung seiner Poetologie hinzufügen: Kennzeichnend ist die Verbindung von realistischer und phantastischer Ebene. In einem Brief zählt Fühmann einige Punkte der Verwandtschaft mit Hoffmann auf, andere sind auf den abgebildeten Notizzetteln lesbar. 37 Gemeinsamkeiten hat er gesammelt, eine fehlt: Auch Fühmann hatte seine „Meister Floh“-Affären und kannte die Knarrpantis seines Landes (er hat auch Hoffmanns „Ödes Haus“ in Berlin ausfindig gemacht).

Um ein Nachwort für die vier Tieck-Novellen zu schreiben, nimmt er sich vor, dreimal den ganzen Tieck zu lesen, außerdem Briefwechsel und Nachlaß, er arbeitet während sechs Jahren daran, um schließlich doch aufzugeben („...kenne auch viel zu wenig vom Umkreis des Tieckschen Werks“). Der erhaltene (sehr beeindruckende) Entwurf ist im vorliegenden Band erstmals abgedruckt. Fühmann klagt, warum er nicht das Gemüt eines ordentlichen Germanisten habe, der zwei der vier Novellen liest, von den beiden anderen eine Inhaltsangabe und dann den Rest bei Rudolf Haym abschreibt. „Ich bin gescheitert“, schreibt er an seinen Verleger, eine Wendung, die auch in seinem Testament wiederkehrt. Das, was in dieser Formel anklingt, macht eben Fühmanns Weg aus, seine Unerbittlichkeit, die unnachsichtig gegen sich selbst gerichtet ist.

Der Weg in die Sprache der Prosa

1958 schreibt er, Kulturfunktionär der Nationaldemokratischen Partei und Lyriker, es habe ihm die poetische Sprache verschlagen; wo andere in den Westen gingen, habe er eben den Weg in die Prosa gewählt. Nach dem August 1968 beerdigt er den „Vergangenheitsbewältiger mit der schönen Sprache“, begibt sich zur Alkoholentziehungskur in die Psychiatrie von Rostock, und, so Fühmann, „damit fing das Eigentliche an“. Erst mit seinem Tagebuch „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“ (1973) datiert er seinen Eintritt in die „Literatur“, bis dahin habe er geschrieben, um etwas mitzuteilen, was er schon wußte, nun habe der Stoff sich durchgesetzt, „von da an begann ich Bücher zu schreiben, um mir selbst im Prozeß des Schreibens Klarheit zu verschaffen“. So ernst er die Aufträge nahm, so war Fühmann auch in seinen Anfängen nirgends ein „Auftragsschriftsteller“, er war sich selbst der rigoroseste Zensor. 1970 schreibt er, um den Abbruch eines weiteren Projekts zu erklären („Verrennen ist schon kein Ausdruck“): „Ich bin kein leichter Luftikus, der springen kann, ich stapfe.“ Aber Fühmann tat es in einer schnörkellosen Sprache, in eigenartiger Schönheit und einer Strenge, die ihresgleichen sucht.

„Franz Fühmann. Eine Biographie in Bildern, Dokumenten und Briefen“. Hrg. von Barbara Heinze. Geleitwort Sigrid Damm. Hinstorff Verlag, Rostock 1998, 400 Seiten, 256 Abb., 68 DM