: Bayerns erster Tourist tritt letzte Reise an
Max Streibl, früherer Ministerpräsident Bayerns, ist tot. Der Landtag würdigte den CSU-Politiker, der politisch längst keine Rolle mehr spielte, während seiner Amtszeit aber durch Affären als Amigo Furore machte ■ Aus München Stefan Kuzmany
Über die Toten nur Gutes, auch vom politischen Gegner. Nachts zwischen zwei und drei Uhr hatte ein Herzinfarkt dem früheren bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl einen plötzlichen Tod in seiner Münchner Wohnung beschert, und jetzt muß über den Mann natürlich Ehrenvolles gesagt werden. Hat zum Beispiel jemand gewußt, daß Dr. hc. Max Streibl der erste Umweltminister Europas war und damit „wichtige Weichen gestellt“ hat? Daß er sein Amt als Finanzminister „sachkundig und zum Wohl Bayerns ausgeführt“ hat? Renate Schmidt, die bayerische SPD-Landesvorsitzende, weiß es: „Vor diesen Leistungen für unser Land treten an einem Tag der Trauer Kritikpunkte aus seiner Amtszeit als Ministerpräsident in den Hintergrund.“
Streibls Nachfolger im Amt, Edmund Stoiber, schwang sich zu noch inhaltsärmeren Gemeinplätzen hoch: Streibl sei „eine der prägendsten Persönlichkeiten“ der bayerischen Nachkriegsgeschichte gewesen. Und was macht man, wenn so ein Mann „völlig unerwartet“ stirbt? „Wir verneigen uns vor seinem Leben“, sagt Stoiber, und im Maximilianeum erheben sich die Mitglieder des Landtags. Da hilft auch das offizielle Trauergebaren der Politikerkaste nichts: Zwar ist Max Streibl seit gestern tot. Für die Politik war er jedoch schon lange gestorben. Wenn die Kinder in bayerischen Schulen künftig ihre vergangenen Landesväter aufzählen müssen, wird es einigen schwerfallen, sich an jenen Mann zu erinnern, der nach der Himmelfahrt des gottgleichen Franz Josef Strauß an die Spitze des Freistaats trat, die CSU mit der „Amigo-Affäre“ in ihre tiefste Krise stürzte, um dann Platz zu machen für den eigentlichen Nachfolger, den smarten Edmund Stoiber.
Der CSU-Fraktionschef erinnerte vor dem Landtag daran, daß Streibl „auch bittere Stunden nicht erspart geblieben“ seien – damit meint er wohl auch jene bitteren Stunden für seine Partei, die zu Streibls Blütezeit angreifbar war wie selten zuvor. Selbst für einen bayerischen Konservativen hatte Streibl sich oftmals etwas viel herausgenommen und Kopfschütteln nicht nur in CSU-fernen Teilen der Bundesrepublik ausgelöst, sondern immer wieder auch in den eigenen Reihen. Im Oktober 1988 zum Ministerpräsidenten vereidigt, begann schon Ende 1989 für Streibl die harte Zeit der Affären. Er mußte ein Grundstück im Wert von 1,8 Millionen Mark, das er von der Caritas zum Freundschaftspreis von 1,32 Millionen bekommen hatte, unter dem Druck der Öffentlichkeit wieder zurückgeben. In die Hauptstadtdebatte schaltete sich Streibl mit der Befürchtung ein, das Parlament könnte in Berlin unter den „Druck des Straßenmobs“ geraten – und schwadronierte von einer „Hauptstadt Kreuzberg“. Für den CDU- Politiker Eberhard Diepgen war dies „beleidigend“. Nach seiner Wiederwahl im Oktober 1990 geriet er sofort in die Kritik der Opposition. Zu viele Aufsichtsratsposten, etwa beim Rüstungskonzern MBB, ließ er sich zu fein vergüten. Den österreichischen Rechten Jörg Haider (FPÖ) nannte Streibl einen „Hoffnungsträger“ – kurz bevor sich jener mit seiner Verherrlichung der „außerordentlichen Beschäftigungspolitik“ des Dritten Reiches endgültig aus dem Kreis der Demokraten verabschiedete. Unvergessen auch Streibls geflügeltes Wort von der „Krampfhenne“ Renate Schmidt und seine Intervention zur Entlassung eines Korrespondenten des Donaukuriers. Wie jene lösten auch Streibls Äußerungen zum Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten auf dem Münchner Weltwirtschaftsgipfel 1992 eine Landtagsdebatte aus. Es sei nun mal „bayerische Art“, Protestierende einzukesseln, damit hätten „Störer“ eben zu rechnen. Peinlich nur, daß die US- Regierung sich entschloß, den Secret Service zum Schutz amerikanischer Korrespondenten einzusetzen, nachdem Polizisten eine Fotografin des Weißen Hauses zusammengeschlagen hatten.
Anfang 1993, Streibl war auch für die Partei immer schwerer zu halten, wurde schließlich bekannt, daß sich der Ministerpräsident, während er noch „sachkundig“ sein Amt als Finanzminister ausführte, mehrmals auf der brasilianischen Hazienda des Unternehmers Burkhard Grob die Sonne auf den Bauch hatte scheinen lassen. Grob wollte gern ein Flugzeug („Lapas“) für die Bundeswehr bauen und hatte sich von Streibl zinsverbilligte Millionendarlehen zuschustern lassen. Weitere Meldungen über das verbilligte Leben Streibls führten zu immer lauteren Rücktrittsforderungen: Hier eine Reise nach Kenia, dann mal auf Ischia, und privat verbuchte Honorare der Handwerkskammer bestimmten die Schlagzeilen. Im März demonstrierte die Partei noch mal halbherzig „klare Solidarität“. Streibl mißverstand dies und bekräftigte seinen Machtanspruch bis 1994. Mit Blick auf die gefährdeten Landtagswahlen wurde Streibl schließlich fallengelassen und trat 1993 als Ministerpräsident zurück. Seither hat eigentlich niemals wieder jemand etwas von Streibl gehört. Wollen wir ihn nicht trotzdem in netter Erinnerung behalten? Eine seiner ersten Amtshandlungen als Landesvater war die Aufhebung der Genehmigung für die WAA Wackersdorf.
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