Moskauer Theaterdonner in Richtung Washington

■ US-Militärschlag gegen Bagdad läßt in Rußland sogar die härtesten Gegner zusammenrücken

Moskau (taz) – Mit geharnischten Stellungnahmen reagierte Moskau auf den amerikanischen Militärschlag gegen Bagdad. Die Schärfe der Äußerungen aus dem Kreml, dem „weißen Haus“ und der Staatsduma stellen in dem Jahre schwelenden Konflikt um den Irak ein deutliches Novum dar. Präsident Boris Jelzin verurteilte die militärische Intervention als eine Aktion, „die die dramatischsten Konsequenzen“ nach sich ziehen könnte. „Sie ruft ernsteste Bedenken, ein Gefühl der Empörung und höchsten Alarm hervor.“ Der Kremlchef beschuldigte die USA, gegen die UN-Charta verstoßen und internationales Recht verletzt zu haben.

Ins gleiche Horn stieß Premierminister Jewgenij Primakow, Nahostspezialist und langjähriger Bekannter Saddam Husseins, der in den Vorjahren mehrfach zwischen Bagdad und Washington zu vermitteln suchte: „Diese Aktion haben voll und ganz die Amerikaner zu verantworten.“ Vor versammeltem Kabinett erinnerte Primakow an den jüngsten Besuch des UN- Inspekteurs Richard Butler in Rußland. Der UN-Vertreter habe ihm bei der Visite versichert, die Arbeiten verliefen zufriedenstellend. „Doch dann zieht er ohne Konsultationen sein Personal ab, und ein militärischer Angriff wird lanciert“, artikulierte der Ex-Außenminister sein Unverständnis.

Während des Golfkrieges zogen Moskau und Washington noch an einem Strang. In den Folgejahren ging der Kreml auf Distanz und frischte die eingetrübten Beziehungen zu Bagdad wieder auf. Einerseits um die innenpolitische Opposition zu beschwichtigen, andererseits nutzte Moskau die Irakkrise, um seinem Vorbehalt gegenüber der amerikanischen Rolle als Weltpolizist Gehör zu verschaffen. In der Stellungnahme Außenminister Igor Iwanows klang das auch wieder an: „Keiner hat das Recht, die Rolle des einzigen Richters auf der ganzen Welt einzuklagen.“

Alle politischen Kräfte, einschließlich der sieben Parteien in der Staatsduma, lehnen den US- Eingriff ab. Kommunistenchef Gennadij Sjuganow bezichtigte die Amerikaner sogar des „Staatsterrorismus“ und verlangte umgehend die Rüstungsausgaben im Haushalt zu erhöhen. Selbst gemäßigte Vertreter wie der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Duma, Lukin, forderten den Kreml auf, das Embargo gegen den Irak nicht länger zu befolgen – nicht ganz ohne dabei an den eigenen materiellen Nutzen zu denken. Bagdad schuldet Moskau noch acht Milliarden US-Dollar.

Grundsätzlich ist die Krise im Irak aus Moskauer Perspektive ein dankbares Thema. Der Kreml hat nichts zu verlieren. Im Gegenteil, jede Art der Zuspitzung vermehrt zumindest das symbolische Kapital der ehemaligen Supermacht. Klaus-Helge Donath