: Kraftlose Schmetterlinge
In den Naturwissenschaften versteht man unter Chaos etwas, was sich ständig in ähnlicher, aber niemals gleicher Weise wiederholt. Das Lieblingsbeispiel der Chaosforscher ist das Wetter. Es ist ein System, in dem sich die Jahreszeiten wiederholen – wobei kein Sommer dem andern gleicht. Aufgrund der unzähligen Faktoren, die auf das Wetter einwirken, ist es nur kurze Zeit genau vorhersagbar.
In keinem Chaosbuch darf der berühmt-berüchtigte indische Schmetterling fehlen, dessen Flügelschlag am andern Ende der Welt einen Sturm auslösen kann. Der Schmetterling ist eine Metapher dafür, daß sich in komplexen Systemen winzige Störungen gigantisch auswirken können. Man darf aber davon ausgehen, daß dies eher seltener passiert – bisher nämlich waren die indischen Schmetterlinge so freundlich, Europa mit Stürmen zu verschonen.
Eng verknüpft mit dem Chaos ist die fraktale Geometrie. Sie beschäftigt sich mit Gebilden, für die die herkömmliche Geometrie keine Namen kennt – also für fast alles, was nicht von Menschen gemacht ist: Wolken, Gebirge, Flüsse, Pflanzen. Für uns so selbstverständliche Größen wie die Länge einer Linie ergeben in der fraktalen Geometrie keinen Sinn, da beim näheren Hinschauen immer feinere Strukturen sichtbar werden.
Der Mathematiker Benoit Mandelbrot hat einmal die Frage aufgeworfen: Wie lang ist die Küste Britanniens? Die Antwort: Sie ist unendlich lang. Die Länge der Küste ist nämlich abhängig vom Maßstab der Karte, die man der Messung zugrunde legt. Genau genommen muß man die Entfernung von Stein zu Stein messen, von Sandkorn zu Sandkorn, von Molekül zu Molekül usw. So nimmt es nicht wunder, daß die Längenangaben der gemeinsamen Ländergrenze zwischen Portugal und Spanien sich um zwanzig Prozent voneinander unterscheiden, wenn man die jeweiligen Lexika der beiden Länder zu Rate zieht: Kleinere Länder benutzen kleinere Maßstäbe. Gerhard Weinreich
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