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Grußtelegramme für einen weisen Staatsmann

■ Ein Interview mit Jugoslawiens Präsident Milošević wird in Serbien zum Medienereignis

Belgrad (taz) – Slobodan Milošević, Präsident der Bundesrepublik Jugoslawiens, umhüllt sich gern mit einem mystischen Schleier. Nach seinen Niederlagen in Kroatien und Bosnien ist er menschenscheu geworden. Einst Liebling der Medien, gewährt er in der letzten Zeit im Schnitt ein Interview jährlich. Dann aber muß es in ganz Serbien als Sensation gefeiert werden.

Er selbst ließ die Idee an Newsweek herantragen. Das in der Washington Post gekürzt abgedruckte, in Newsweek ausführlicher veröffentlichte Gespräch wurde vorige Woche das Medienereignis Serbiens. Weder sechs im Kosovo ermordete Serben noch US-Marschflugkörper auf Bagdad konnten einen Schatten auf seine Worte werfen. Seine Anhänger sind gehalten, Milošević in Grußtelegrammen für seine Weisheit zu danken und ihm auch weiterhin ihre Gefolgschaft zu versprechen.

Jedoch unterscheidet sich die in der einflußreichen Tageszeitung Politika veröffentlichte Version des Interviews von jener in Amerika so wesentlich, daß man von einer Manipulation sprechen muß. In Politika antwortet Milošević auf 206 Fragen, in Newsweek auf 70, in der Washington Post auf sechs. Die Leser der Politika müssen jedoch glauben, alles, was sie lesen konnten, hätte auch der Leser in den USA erfahren. Folglich hörte man auf der Straße und in Kneipen: „Denen hat es unser Präsident wieder einmal gezeigt!“

Zum zweifellos schlechten Image Serbiens und seiner Person erklärte der Präsident, was „der Westen“ dazu sage, sei eine einzige Lüge. Die albanische Mafia hätte „mit dem blutigen Geld“ aus dem Drogenhandel Politiker und Journalisten im Westen korrumpiert.

Nie sei eine Zeitung in Serbien verboten worden, sagte Milošević zum neuen Pressegesetz. Verboten sei nur, öffentlich zu lügen. Geldstrafen für Lügen „haben wir von euch übernommen“. Nie sei jemand in Serbien wegen einer politischen Meinung bestraft worden, nur wegen der „Veröffentlichung falscher Tatsachen“. „Ich bin ein bescheidener Mensch“, sagt Milošević, „aber wenn ich mich bei der Suche nach einer friedlichen Lösung nicht dermaßen engagiert hätte, wären die Verträge von Dayton nie zustande gekommen.“

Was die wirtschaftliche Situation im Lande angehe, sagte der Präsident, so sei 1993 wegen der Sanktionen einen Tiefstand erreicht gewesen, seither steige das Nationaleinkommen von Jahr zu Jahr, die Situation in Jugoslawien sei „viel besser“ als in den Nachbarländern. Angesichts von mehr als 50 Prozent Arbeitslosen und monatelangem Verzug bei der Auszahlung von Löhnen und Renten fragt man sich, ob der Mann wirklichkeitsfremd ist oder seine Mitbürger für grenzenlos naiv hält.

Scharf verurteilte Milošević die Nato-Truppen in Makedonien, die die OSZE-Beobachter im Kosovo notfalls beschützen sollen. „Das gefällt uns nicht im mindesten!“ Sollten sie auf jugoslawischem Territorium einzugreifen versuchen, werde man das als „Aggression“ verstehen und entsprechend handeln. Was mit diesen unbewaffneten Vertretern Europas geschehen soll, falls sie von der albanischen selbsternannten Befreiungsarmee UCK als Geisel genommen würden, ist die Frage. Belgrad hat ja seine Polizei und Armee zum Teil tatsächlich zurückgezogen, Teile des Kosovos kontrollieren wieder militante Albaner. Vor einigen Wochen stellten diese Frage jugoslawische Journalisten der Nato in Mons. Die Antwort: „Falls etwas geschieht, wird General Clark den jugoslawischen Generalstabschef Momcilo Perisić anrufen, und die beiden werden eine Lösung finden.“ In Belgrad glaubt man, daß das ein Grund war, weshalb Milošević Perisić kurz darauf ablöste.

Inzwischen eskaliert die Situation im Kosovo. Am vorigen Montag starben mindestens 42 Menschen. Die „nächste Runde“ für das Frühjahr scheint programmiert, und niemand weiß, wie diese Entwicklung aufzuhalten ist. Andrej Ivanji

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