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■ berlin spinntWo Nicht-Licht war, soll Licht werden

Berlin ist die Hauptstadt der privaten Weihnachtsdekorationen. Ab Oktober beginnen die Menschen hier mit ihren skurrilen Bräuchen. Wo früher im Fenster eine Kerze stand für die gebeutelten DDR-Bürger, auf daß sie den Weg fänden – vom SED-Terrorregime ins freiheitliche Wohnzimmer – leuchtet nun heidnisch-pompös und ausschweifend das Weihnachtsgelichter: opulente Lichterketten aller Sorten und Körbchengrößen, kombiniert mit diesem und jenem; Sterne, Sternschnuppen, Weihnachtsmänner, -bäume, -engel, -schlitten; mal klassisch, mal modernistisch geformt.

Am Potsdamer Platz im Stil der 70er-Jahre-Postmoderne. In der Wilmsstraße steht ein flauschigweißes Schäfchen neben einer Alfpuppe zwischen allerlei Gelichtern. Wenn die Sternschnuppen falsch rum aufgehängt sind, wirkt das männlich. Manche Weihnachtsbäume sehen aus wie Pfeile. Abgeschnittene Weihnachtsmannköpfe wispern weißrötlich beim Bäcker.

Das Jahresendzeitgelichter ist ein heidnischer Brauch, hat aber auch eine gewisse Logik, wenn die Tage am kürzesten sind. Hella meint, je ordentlicher die Weihnachtsbeleuchtung an den Fenstern, desto finsterer seien wohl die privatmitmenschlichen Verhältnisse der Leute, die dahinter wohnen. Klingt einleuchtend. Andererseits ist es auch schön, daß – meiner Theorie nach – vor allem nette Prolberliner den Einflüsterungen ihrer Kinder (Blagen) vermutlich gehorchend, also beschäftigte Familienberliner, die sonst eher mißmutig-neidisch auf nächtliche Rumtreiber schauen, nun freigiebig Licht aus ihren Fenstern werfen. Das fängt man gern auf. Da freut man sich.

Bei dem alljährlichen Wettbewerb um die schönste Fensterdeko wollen alle einander übertrumpfen. Das führt in manchen Straßen zu einem lichternden Inferno. Wo Nicht-Licht war, soll Licht werden. Toll! Die klassische Kerzenreihe am Fenster dagegen wirkt doch etwas ärmlich. Ich kaufte mir eine amerikanisierte Weihnachtslichterkette aus China, die im Rhythmus diverser Weihnachtslieder blinken kann. Nur leider konnte man den Sound nicht ausstellen und das Licht, mit dem ich den Passanten draußen Freude schenken wollte, entnervte mich drinnen.

Markus, der am 24.12. nach Berlin ziehen wird, sagte, es handle sich bei den Weihnachtsfensterfreunden ja wohl um Leute, mit denen man normalerweise keinen Umgang habe. Hans, ein lachender Junggeselle dagegen, hat seinen Balkon schon vor anderthalb Monaten weihnachtsfestlich geschmückt. Inzwischen sieht der Balkon allerdings schon wieder etwas mitgenommen aus.

Schutzlose Ströme werden hier sinnlos verheizt, möchte ich als Freund bedrohter Energien zu bedenken geben. Die finsteren Gesellen des Stromversorgers Bewag werden sich wie Montgomery Burns die Hände reiben. Detlef Kuhlbrodt

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