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Am besten alles selber machen

Meine Mutter hat mir Flöhe gar nicht erst ins Ohr gesetzt. Ich wußte von Anfang an, daß niemals ein Christkind geboren wurde. Daß Frauen von Männern betrogen werden und daß Knecht Ruprecht immer gerade dann aufkreuzte, wenn ich mit meinem Vater unterwegs zur Garage war. Was Weihnachten wirklich ist, habe ich nur geahnt. Und mit jedem erlebten steigerte sich die Vorfreude auf das wahre Fest bis ins Unermeßliche. „Ach“, sagte meine Mutter jedes Jahr, wenn mein Vater und ich zurückkehrten, „jetzt habt ihr ihn verpaßt.“

Auch mein Vater machte mir nichts vor. Der einzige Weg, den er je von unserer Haustür aus zu Fuß ging, war der zur Garage. Also führte auch unser Weihnachtsspaziergang dorthin. Er versuchte, während wir nebeneinander hergingen, gar nicht erst, sich mit mir über irgend etwas zu unterhalten, denn das hatte er bisher viel zuwenig geübt. Schweigend schloß er das Garagentor auf und startete den Wartburg.

Mein Sinn für Weihnachtsfeste entwickelte sich wie der Sinn für die eigene Sexualität. Zunächst wurde mir der Ablauf klar: Nach einer Anlaufphase spitzt sich die Sache immer mehr zu und kulminiert schließlich in einem kurzen Moment, der bei mir am 24. Dezember nachmittags zwischen fünf und sechs Uhr liegt: die Bescherung. Danach verwandelt sich Vorfreude in Schwermut. Mitunter, wenn ich Besitzerin herbeigewünschter Gegenstände geworden bin, geschieht das nicht unversehens. Ich freue mich erst noch ein Weilchen – darüber, daß alles gutgegangen ist mit dem Ich-gebe-dir-was-du-willst-und-du-besorgst-mir-was-ich-will; darüber, daß es möglich ist, sich umständlich gegenseitig zu beglücken, obwohl das allein einfacher geht. Jedenfalls dauert es nicht lange, bis die eben erhaltenen Gaben außer Zufriedenheit bei mir nichts mehr auslösen. Keine Begeisterung. So geraten die alten Wünsche in den Verdacht, gar keine gewesen zu sein. Neue müssen her.

Wie für Sex ist man auch für Weihnachten selbst verantwortlich. Allmählich habe ich begriffen, daß ich mir mein Fest selber machen muß. Jedes Jahr steigere ich mich mehr hinein. Ich zeige mich nur noch im Halbdunkel der Kerzen, stecke alles, was ich schon immer sagen wollte, in meine Bastelarbeiten, und das Räuschermännchen versetzt mich in einen ständigen Rausch. Ich mache mich glücklich. „Das machst du aber schön“, sagt mein Mann. Nadja Klinger

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