■ berlin spinnt
: Das Fest am Boden, zu Wasser und in der Luft

Berlin ist bekannt als Stadt der Superlative. In der Metropole, wo vor einigen Jahren der Regierende Bürgermeister schon von einem alternativen Eierwerfer als „Weihnachtsmann“ tituliert worden war, wollte man sich natürlich auch an den Feiertagen nicht lumpen lassen. Präsent war die „Weihnachtsstadt“ Berlin deshalb 1998 zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Am Boden tummelten sich zwischen Alexanderplatz und Kurfürstendamm die Nikoläuse en masse. Wer es an Heiligabend oder an den Feiertagen liebte, auf Schiffen Geschenke zu machen, konnte Dampferfahrten über die Havel oder auf dem Wannsee chartern. Und auch die fliegenden Berliner mußten am Himmel nicht ohne auskommen.

Überraschend war Weihnachten dagegen für den, der sich dieser Tage bei der Deutschen BA (British Airways) auf dem internationalen Luftbahnhof Tegel eincheckte. Das Bodenpersonal von British Airways in Berlin, sonst recht preußisch auf Draht, schmunzelte an den Schaltern bereits vielsagend. Mit einem „Alles kommt mit“, beruhigte der Boden- Steward die mit Geschenken bepackten Heimflieger, die sich angesichts der Menschenfülle Horrorszenarien unter leeren Tannenbäumen ausmalten. Selbst das neue Snowboard einer Mitfliegenden in der Reihe vor mir machte trotz Überlänge keine Probleme. Sie hatte es für ihren Bruder gekauft und hoffte, daß er sich damit nicht „die Haxen“ brechen wird.

Noch größer war die Freude, als man an Board ging. Der Copilot hatte sich als Weihnachtsmann verkleidet und begrüßte die Passagiere mit einem „Fröhliche Weihnachten“. An der Decke des Flugzeugs glänzten silberne, blaue und goldene Papiersterne. Den Stewardessen hatte die BA Zipfelmützen mit roten und weißen Bommeln verpaßt, damit es so richtig gemütlich wurde. Und weil Spaß sein mußte, dröhnten aus den Lautsprechern Weihnachtslieder wie „Stille Nacht“ oder „Kling, Glöckchen“ — aber nicht in der Fischer- Chöre-Version, sondern verjazzt.

Meinem in der Reihenmitte eingezwängten Nachbarn war das zuviel. In der Luft, die BA-Nikoläusinnen reichten Weihnachtsplätzchen und Schokoherzen zu Kaffee, Tee oder Tomatensaft, mußte er die Geschichte loswerden, als er vor Jahren glücklicherweise mit einem Bach-Chor „Alte Musik“ an Weihnachten „über den Teich“ flog und es an Bord Ausschnitte aus dem Oratorium zu hören gab. Irgendwie war mein Nachbar auf Berliner Weihnachten in der Luft nicht gut zu sprechen, was man auch daran merkte, daß er den affirmativen Mitmachsong der Kids hinter ihm wenig goutierte.

Sicher, der Mann war nicht als Pfarrer beschäftigt und hatte auch sonst wenig rückschrittliche Ansichten. Er war in der Kleiderbranche tätig und deshalb dem Modernen aufgeschlossen. Aber die Weihnachtslieder, verpackt von der BA und einem Copiloten als Weihnachtsmann, waren dem Liedguttraditionalisten doch zuviel.

Auf den Rückflug, zwei Tage später, wiederholte sich das Ganze: Nikomützen, Schokoherzen, Plätzchen und jazzige Lieder. Für einige war die BA-Weihnachtsparty aber dann doch vorbei, als die Nikoläusin den Sinkflug damit ankündigte, man werde in Kürze in Tegel „aufschlagen“. Sind wir nicht. Rolf Lautenschläger