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Schöne kuschelige Elektronikwelt

Hier mag man es bevorzugt mittelgroß bis klein zu zivilisierten Mitbringsel-Preisen: Die Galerie im Haus Schwarzenberg präsentiert einen genauso chaotischen wie friedlichen Kunstmix von Berliner Off-Szene-Stars  ■ Von Jenni Zylka

Es hat schon etwas, dieses geballte Kunstkonglomerat, das da beim Betreten der Räume auf einen einstürzt.

KünstlerInnen aus dem dreieinhalbjährigen Bestehen der Galerie im Haus Schwarzenberg haben geladen, ihre Werke zu besichtigen und zu kaufen. Man blickt auf eine im wörtlichen Sinne bewegte Vergangenheit zurück, laut Pressetext gab es in den großzügigen Ausstellungsräumen „unkonventionelle und oft auch unkommerzielle Projekte“, Parties zwischen Skulpturen, VideoArt und Performance. Und so stehen und hängen sie auch jetzt bunt durcheinander, die Bilder, Collagen und Installationen der jungen KünstlerInnen.

Aber unkoordiniert wirkt es dennoch nicht, der Kunstmix macht eher einen friedlichen Eindruck, trotz der Vernissage, bei der zwei Künstler in Rollstühlen 200 Eier in drei Stunden zu einer Art Rührei à la carte plattwalzten. Stefan Hoehnerloh an einem und Laura Kikauka am anderen Ende des Hauptraumes stellen vielleicht die bemerkenswertesten Beiträge: Hoenerlohs perfekte, in verschwiemelten Grautönen gehaltene Großstadt-Architektur-Ölbilder sind um so beeindruckender, wenn man weiß, daß die scheinbar fotorealistischen Studien Ansichten einer imaginären Stadt sind. Sie entstanden im Kopf des Künstlers, wurden nicht etwa nach einem Blick aus dem Fenster oder in Erinnerung an existente Bauten gemalt. Momentaufnahmen einer europäischen Stadt mit abgerissenen, verlassenen Häusern, Gassen, Fenstervorsprüngen in der typischen Vorkriegsbauart, allesamt ohne einen Hinweis auf die Bewohner, und trotzdem seelenvoller als eine Geisterstadt. Es muß jemand in den Häusern wohnen, die Scheiben sind noch alle heil, die Farben sind durch das jegliche Fehlen von Vegetation oder Menschen/Tieren/Autos/Fahrrädern/ Papier/Kleidung nur so schrecklich trostlos. Und weil die Bilder auf den ersten Blick wie wirkliche Fotos wirken, sind sie um so seltsamer, nehmen einen richtig mit.

Laura Kikaukas kleines Stromparadies am anderen Ende dagegen zeigt, wie kuschelig man es mit etwas Elektronikfrickelei doch haben kann. Ihre Lampen aus alten Glühlampen, Barbieschuhen, Puppen und Plastikschnipseln, ihre Mobiles und Collagen aus Dioden und lustig flackernden Birnchen bilden eine bunte, synthetisch-gemütliche moderne Welt. Eine Apparatur wie ein elektronischer Orgon-Akkumulator lädt ein zum Reinsetzen und an den Knöpfen drehen – Laura animiert ihre Besucher zum interaktiven Spiel mit Frequenzen, Volt und Watt. Sinnigerweise ist hier auch die Bar, die so im Herzen der Ausstellung liegt und als deren Schrittmacher fungiert.

Neue Werke der Dead-Chickens-Mitglieder Hannes Heiner und Breeda C. C. hängen an den Wänden vor der Elektro-Kneipe. Breeda hat aus Gießharz Monster-Collagen gefertigt, ein Dead- Chickens-Mobile mit grinsenden Würmern dreht sich davor. Im Manga-Stil malt eine Künstlerin namens Evelyn, die Fernseh- Heidi scheint auf ihren Bildern zu einem traurigen Girlie mutiert zu sein. Der fleißigste Künstler von Berlin, Jim Avignon, hat mal eben ein paar Fabelwesen aus dem nie versiegenden Künstlerärmel geschüttelt, ATAK und Nir Rakotch stellen große, comicartige Gemälde aus.

Wer Gemeinsamkeiten finden möchte, kann das tun: Relativ jung sind sie alle, und relativ berlingebunden auch. H. N. Semjon hat „Berlin Paintings“ auf Wachs gebannt. Wie ein Stück Mauer mit verblaßtem Graffitti wirkt es von weitem, wenn man näher kommt, staunt man über Komplexität der Inhalte: einen Ausschnitt Großbaustelle Potsdamer Platz erkennt man auf dem nur 30 * 42 Zentimeter großen Stück weiß-gläsernem Wachs, wie eine plattgewalzte Motivkerze hängt es hinter Plexiglas. Die Flexibilität des Materials paßt hervorragend zum Motiv – wird nicht auf einer Baustelle die ganze Zeit Material verändert, in eine bestimmte Form gepreßt? Dahinter machen ein paar bunte Buchstabennudelcollagen von Giò De Sera Appetit auf Nudelsuppe und Party. De Sera ist schon lange ein Star der Berliner Off-Kunst- Szene, Lutz Pramman wird vielleicht mal einer. Die Motive seiner Bilder findet er in Zeitungen, Illustrierten, er kopiert und vergrößert sie auf Leinwand und setzt sie so in neue Zusammenhänge. Was vorher illustratorisch war, ist nun abendfüllend, kleine Nebensächlichkeiten und Details werden zu Inhalten.

Es fehlen etwas die monumentalen, beweglichen Großskulpturen, mit denen sich die Dead Chickens Freunde gemacht haben, nur ein paar riesige, krabbenartige Scheren aus Metall wachsen aus dem Boden und erinnern zusammen mit den Dokumentationsfotos der Projekte und Ausstellungen der Gruppe an deren wahnwitzige Monsterwelt. Aber vielleicht würden die Blechmutanten auch den Rahmen sprengen, zumal es die meisten der ausgewählten Künstler ohnehin eher mittelgroß bis klein zu mögen scheinen. Eben Handtaschengröße, was auch auf den finanziellen Rahmen der Werke hinweist: durchaus zivilisierte Mitbringselpreise ab 40 Mark, Preise, um mit einem solchen, jungen Exponat eine Sammlung zu starten, die man dann im Jahr 2050 für viel Geld in der Nationalgalerie (oder im Internet) präsentieren kann. Wer da nicht zumindest mal gucken kommt, dem kann keine Kunst der Welt mehr helfen.

„Salon Schwarzenberg“ im Haus Schwarzenberg, Rosenthaler Straße 39, 10178 Berlin-Mitte, noch bis zum 10. Januar 1999, Mittwoch, Donnerstag & Sonntag jeweils von 16–22 Uhr, Freitag & Samstag von 16–24 Uhr

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