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„Musik hat Sinn und eine Message“

Joe Rilla hat die bisher beste Berliner HipHop-Platte produziert und sich am guten alten Reinhard Mey orientiert  ■ Von Thomas Winkler

Es hat schon schickere Vorbilder gegeben. Aber wenn Hagen Stoll die Texte schreibt, die er später unter dem Namen Joe Rilla rappen wird, dann orientiert er sich nicht am Naheliegenden, nicht an den rhymes US-amerikanischer MCs und auch nicht an denen seiner erfolgreicheren bundesdeutschen Kollegen. Denn Stoll schreibt über seinen Großcousin, der sich zu Tode gefahren hat, über den besten Freund, dessen Weg sich von dem seinen getrennt hat, oder über die Liebe, die natürlich die große und unendliche sein soll, wenn er um Worte ringt, dann orientiert er sich ausgerechnet am guten alten Reinhard Mey.

„Es gibt keine Maikäfer mehr“ und „Über den Wolken“ als Blaupause für die rhyme skillz eines HipHoppers aus Höhenschönhausen? „Klar“, sagt Stoll, „wird das ab und zu mal bewitzelt, aber ich steh' dazu. Reinhard Mey bekommt meinen Respekt. Was er mit seinen Texten ausdrückt, das will ich auch – nur auf meine Weise.“ Also hat Stoll „alle Mey- Platten zu Hause“, denn wenn Mey dichtet, dann ist das „kein Larifari“.

Dann hatte das Schicksal einen seiner freundlichen Tage: Als Joe Rilla in den Hansa-Studios seine Debut-Platte „Zeitgeist“ aufnahm, erschien ihm sein Lieblingsdichter, der nur eine Wand weiter im größeren Aufnahmeraum sein aktuelles Album „Flaschenpost“ einspielte und leicht davon überzeugt werden konnte, für den Titeltrack von „Zeitgeist“ zwei einführende Zeilen zu sprechen. Im Gegenzug rappte Stoll ihm einige Zeilen für „Flaschenpost“, die es allerdings nicht auf den endgültigen Mix der Platte schafften, weil Mey dann doch lieber den eigenen Sohn als Rapper engagierte.

So weit entfernt Mey von HipHop auch scheint, man kann auf „Zeitgeist“ den Einfluß dieser Liedermachergeneration durchaus hören. Und das nicht nur, weil auf dem Weg von der persönlichen Erfahrung zur allgemeingültigen Aussage auch hier nicht so sehr ein politisches, aber doch immerhin soziales Bewußtsein entwickelt wird. Im Gegensatz zur klassischen HipHop-Tradition, die auch die Hamburger Kiffer oder die Stuttgarter Fraktion noch nicht vollständig überwunden haben, schlüpft Joe Rilla auch mal in ihm fremde Rollen. Meistens spricht Joe Rilla zwar eindeutig als Hagen Stoll, aber der „Discokönig“, der mit Stoll bestimmt nicht identisch ist, wird in der Ich-Form zur Sau gemacht.

Der Rest ist Authentizität, denn „die Leute spüren genau, ob die Story von Herzen kommt oder ein Märchen ist“. Die Single „220 km/H“ hat Stoll direkt im Anschluß an die Beerdigung seines Großcousins aus Mecklenburg- Vorpommern geschrieben. „Schon fast zu persönlich“ wurde es, als kurz nach der Aufnahme auch noch zwei enge Freunde bei einem Autounfall ums Leben kamen. Eine Zeitlang hat er darüber nachgedacht, ob er den Song überhaupt veröffentlichen soll. Auf der Single findet sich nun ein Bonustrack für die toten Kumpels. Also: „Glaubwürdigkeit rüberbringen“, darum geht es. Dann erzählt Stoll die Geschichte von den Diskonächten im Strandbad Müggelsee, wo die DJs schon fast traditionell „220 km/H“ als allerletzten Song spielen, daß sich die Autofahrer es zu Herzen nehmen mögen. Stolz sei er darauf, meint Stoll, „Musik hat Sinn und eine Message“ und „bewirkt vielleicht was“. Das hätte dann wohl auch Reinhard Mey sagen können.

„Mir fehlt die Ehrlichkeit“, sagt Stoll über Teile des deutschen HipHops. Der Track „Club der bösen Buben“ zielt auf die deutschen Aushilfs-Gangsta-Rapper wie Nana, Pappa Bear oder Down Low, die „den Massen Popmusik als HipHop verkaufen“. Denn „mir soll keiner in Deutschland mit dem Gangster-Getue kommen“. Er selbst nennt seinen Heimatbezirk zwar H-Stadt, aber „Hohenschönhausen ist nicht mein Ghetto, sondern nur der Ort, an dem ich die meiste Zeit verbringe“.

Dort ist er nach 23 Jahren und einer durchaus exemplarischen Biographie gelandet. Aufgewachsen in Friedrichshain und Marzahn, Stukateurlehre und „schnell gemerkt, daß der Bau nicht mein Ding ist“. Mit 15 Jahren beginnt er zu sprühen, ist Teil der SWAT- Posse auf der Insel und als Razia einer der präsentesten Writer der Stadt, während „meine Mutter dachte, ich komm' auf die schiefe Bahn“. Dann das übliche Spielchen: Verhaftungen und Hausdurchsuchungen wechseln sich ab mit den ersten offiziellen Aufträgen als Sprayer. Mit 18 hat er seinen ersten großen Auftritt vor Gericht und kann dem Richter versichern, daß er bereits seit einem Jahr mit dem Sprühen aufgehört hat. Klar ist trotzdem: „Weiter im HipHop bleiben.“ Und weil „ich zum Breakdance nicht so talentiert bin“, grinst der kräftig gebaute Stoll, fängt er an zu rappen. Mit seinen damals noch englischen Reimen macht er sich einen Namen als Freestyler, wird Mitglied der Potsdamer PDM Posse, rappt bei Legal Terms, Da Mash und schließlich bei Family Affair. Vor knapp zwei Jahren beginnt er deutsch zu texten, „weil es gut ist, daß einen die Leute verstehen“.

Dann haben Family Affair, die Anfang des Jahres bei Metrobeat zu einer der zehn beliebtesten Berliner Bands gewählt wurden, die ersten Probleme. Mit dem brasilianischen Rapper Tino Lima zerstritt man sich, Stolls bester Freund Waffel will sich um die Familie kümmern. Folgerichtig erscheint „Zeitgeist“ nicht unter dem Namen Family Affair, sondern unter seinem Pseudonym Joe Rilla, weil die meisten Texte eh von Stoll sind.

Auch musikalisch ist die Platte ein gutes Stück entfernt vom gewohnten Family-Affair-Sound. Die treten prinzipiell ohne DJ auf. „Live drückt es mehr, ist es fetter“, gibt Stoll zu, der seine musikalischen Vorbilder an der East-Coast, im New Yorker Underground verortet. „Zeitgeist“ allerdings ist mit seinen tröpfelnden Beats und den eleganten Samples ganz eindeutig eine West-Coast-Platte geworden, die in ihren besten Momenten so klingt, als sei sie nicht in den altehrwürdigen Hansa-Studios am Potsdamer Platz, sondern von Dr.Dre produziert. Die Grooves rollen jederzeit, der Reimflow ist fast immer souverän.

So gut die Platte geworden ist, ein wenig ist sie für Stoll doch ein Kompromiß. „Ich mußte mich entscheiden“, sagt Stoll, „ob ich weiter auf die Kacke hauen oder vielleicht mal mein Geld mit der Musik verdienen will.“ Momentan arbeitet er noch vier Stunden am Tag bei der Post. „Wenn's nach mir geht, geb' ich alles für Ehrlichkeit“ heißt es im Titelsong, aber die ersten Verkäufe geben Stoll recht. Nach zwei Wochen sind ohne echte Werbung, und „obwohl der Vertrieb noch nicht so klappt“, bereits 800 Alben und 1.200 Singles verkauft.

Das hat ihn natürlich gefreut. Demnächst soll es zweigleisig weitergehen: „Kommerziell auf CD, andererseits was anderes anfangen, das dann auf einem Indie-Label erscheint.“ Am Nachfolger für „Zeitgeist“ wird bereits gearbeitet.

Joe Rilla: „Zeitgeist“ (Chartware/CM Distribution)

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