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Leben in der Warteschleife

Die Zamanis sind fünf von 62.000 afghanischen Flüchtlingen in Deutschland. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, in Berlin werden sie „geduldet“: Sie dürfen seit acht Jahren nicht arbeiten oder die Stadt verlassen. Jetzt hoffen sie auf eine Neuregelung durch die Innenministerkonferenz  ■ Von Julia Naumann

Das Leben der Familie Zamani erinnert an das Märchen vom Leben im goldenen Käfig. Denn auf den ersten Blick fehlt es ihnen an nichts: Im Kinderzimmer der drei Mädchen Jilda, Sadaf und Lida liegen Puppen und Kuschelteddies. Zum Nachmittagstee gibt es Schokoladenwaffeln. In der Ecke dudelt ein Fernseher, und im Regal liegen zahlreiche Musikkassetten, die oft angehört werden. Ein alter Computer ist ebenfalls vorhanden. Der Wohnzimmerschrank ist vollgestellt mit deutscher und afghanischer Lektüre.

Alles, um sich zu beschäftigen, abzulenken, zu zerstreuen, dem monotonen Alltag zu entfliehen. Das ist das Problem der Familie Zamani: Die afghanische Flüchtlingsfamilie lebt seit acht Jahren in Berlin. Ihre Asylanträge wurden 1992 abgelehnt. Die Zamanis seien in Afghanistan nicht zielgerichtet staatlich verfolgt worden, hieß es damals in der Ablehnungsbegründung. Seitdem werden sie in Berlin lediglich geduldet – bekommen jedes halbe Jahr einen neuen Vermerk in ein kleines Heftchen gestempelt, der sie berechtigt, weiterhin in Berlin zu leben.

Das Ehepaar Zamani hat sich vor seiner Flucht aus Afghanistan gegen die damalige kommunistische Regierung des Landes engagiert. Die 32jährige Belkis war Sympathisantin der Frauenorganisation Revolutionary Association of the Women of Afghanistan, die ihren Hauptsitz in Pakistan hat. Die Organisation rief zum Kampf für die Rechte von Frauen auf und gab eine verbotene Frauenzeitschrift heraus. Ihr Mann Shokur war aktiv in einer politischen Organisation „zur Befreiung des afghanischen Volkes“, die Flugblätter gegen das Regime druckte.

Der Geheimdienst durchsuchte die Wohnung des Ehepaars, beide saßen im Gefängnis und konnten nach der Entlassung mit der gerade geborenen ältesten Tochter über Moskau nach Berlin fliehen. „Durch einen Schlepper haben wir für 3.000 Mark ein Visum für Moskau bekommen und konnten deshalb das Land verlassen“, berichtet Shokur, der in seiner Heimatstadt Baglan in einem Exportbüro für Textilwaren arbeitete.

In Berlin stellten die Zamanis ihren Asylantrag. Ohne Erfolg. Doch weil sie wegen der politischen Situation in Afghanistan – es gibt von Deutschland aus keine Flugverbindung in die Haupstadt Kabul – nicht abgeschoben werden können, werden sie seitdem zwangsläufig geduldet. Duldung bedeutet: keine Arbeitserlaubnis, keine Ausbildungserlaubnis, keine Erlaubnis, aus Berlin auszureisen.

„Wir werden hier zu passiven, untätigen, wartenden Objekten gemacht“, beschreibt Belkis Zamani ihre Situation. „Wir sind hier in Deutschland sicher, das ist viel“, finden sie beide. „Denn in Afghanistan würden wir in den sicheren Tod gehen.“ Doch das Untätigsein macht die Situation unerträglich. Shokurs Vater, der wie seine gesamte 30köpfige Familie nach Deutschland geflüchtet war, hat diese Situation nicht mehr ausgehalten. Nachdem hier sein Asylantrag abgelehnt wurde, beantragte er einen afghanischen Paß und ging zurück. In seiner Heimat wurde er 1997 von der Islamischen Partei entführt und ermordet.

Die ersten vier Jahre lebte die Familie in Deutschland in einem Flüchtlingswohnheim, seit vier Jahren in einer Dreizimmerwohnung im Ostberliner Arbeiterbezirk Friedrichshain. Die drei Mädchen, neun, acht und vier Jahre, spüren bisher am wenigsten von der Zwangssituation: Sie dürfen in den Kindergarten und in die Schule gehen. Sind sie jedoch einmal mit der Schule fertig, dürfen sie keine Ausbildung oder ein Studium beginnen.

Für die Erwachsenen gestaltet sich die Gegenwart dramatischer: „Wir aber sitzen den ganzen Tag rum und können nichts tun“, sagt Shokur mit einem gequälten Lächeln. Er wirkt peinlich berührt. „Wir würden gern arbeiten, dürfen aber nicht“, sagt Belkis, die in Afghanistan als Krankenschwester tätig war.

Dreimal im Jahr „darf“ sie einige Wochen für drei Mark die Stunde arbeiten – im Rahmen der Gemeinnützigen zusätzlichen Arbeit (GzA). Die Familie bekommt 1.700 Mark Sozialhilfe, die Miete von 661 Mark bezahlt ebenfalls das Amt. Geld, das die Zamanis gar nicht wollen, das sie sofort selbst verdienen könnten, würde man sie nur lassen.

„Die Sozialhilfe reicht für fünf Personen gerade mal so aus“, sagt Shokur. Doch sie müßten sich oft einschränken. Die Kinder tragen gebrauchte Kleidung. „Letztes Jahr hätten sie für den Sportunterricht neue Schuhe gebraucht“, erzählt Belkis. Die hat sie aber beim besten Willen nicht mehr zahlen können.

Um die Zeit ihres Aufenthalts sinnvoll zu nutzen, haben die Eltern schon einige Deutschkurse an Volkshochschulen besucht. Sie treffen andere Familien im afghanischen Kommunikations- und Kulturzentrum. Doch weit reicht ihr Spielraum nicht: Als Geduldete dürfen sie die Stadtgrenzen nicht verlassen. „Wir waren noch nie im Umland, noch nicht einmal in Potsdam“, sagt Shokur. Die Kinder dürfen bei keiner Klassenfahrt mitfahren. Würde die Familie bei einer illegalen Reise erwischt, müßte sie eine Strafe hinblättern. „Ich kenne einen Mann, der deswegen 260 Mark zahlen mußte“, erzählt Shokur Zamani. „Das können wir uns nicht leisten und versuchen es deshalb auch gar nicht erst“, sagt Belkis und vermutet: „Wenn die Polizei eine Familie bemerkt, die ausländisch aussieht, dann werden wir bestimmt sofort kontrolliert.“ Wirklich gern würden Belkis und Shokur nach Frankfurt am Main fahren. Denn dort wohnen Belkis drei Schwestern und drei Brüder, die ebenfalls aus Afghanistan geflüchtet sind. „Dreimal haben wir einen Sonderantrag bei der Ausländerbehörde gestellt, um sie zu besuchen“, sagt Shokur. Dreimal wurde der Antrag – ohne Begründung– abgelehnt. Und jetzt werden die beiden das erste Mal richtig wütend: „Die Behörden hier wollen uns quälen. Was schadet es der Stadt Berlin, wenn wir für ein paar Tage meine Schwester besuchen?“

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