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Edel, einfältig und gut

■ Moralinsaurer Lebensbejaher, protestantischer Arbeitsethiker: Judith Ammans Film über den Henry Rollins der Jahre 1983–89

Man muß schon unendlich in diesen Haudegen verknallt sein, um das zu ertragen: Henry Rollins in Schwarzweiß, von vorne, von hinten, von oben und von unten, seine muskelbepackten Meister- Propper-Arme, sein kahlrasierter Schädel, sein Stiernacken, alles in Zeitlupe, verschwommen wie ein Live-Mitschnitt vom Amateurvideo. Dazu als Hintergrundmusik das wüste Geschrei, das er mit seiner Rollins Band fabriziert, und Tagebuchtexte von ihm, die in einer schwarzen Leiste übers Bild laufen.

Texte, die sich ausschließlich ums harte Leben on Tour drehen. Wie es ist in den wüsten Industrielandschaften, wo die Konzerthallen stehen, bei den leeren Flaschen, dem Dreck und den Ratten. Und vor allem und immer wieder geht es um den Sex und die Schlägereien, die Rollins vor, während und nach jedem Auftritt beschreibt. Wie ihn mal einer aus dem Publikum am Bein festhielt und er ihm daraufhin in den Kopf trat. Wie er sich danach auf dem verpißten und verschissenen Klo backstage die Füße waschen mußte. Und ein andermal einen anderen so lange ins Gesicht schlug, bis er ihm die Nase brach.

Wenn Henry Rollins vor 1989 wirklich so war, wie ihn dieser Film zeigt, kann er von Glück sprechen, inzwischen etwas vielschichtiger geworden zu sein. Sicher, Rollins ist nach wie vor ein protestantischer Arbeitsethiker, voller self- discipline und self-respect, ein amerikanischer, moralinsaurer Lebensbejaher und Ersatzreligiöser der übelsten Sorte, der sich noch immer auf das Bild des wilden, stahlharten Schweinerockers mit flauschigem Kern versteift. Er hat sich mühevoll eine Privatphilosophie vom menschenverachtenden Menschenfreund zurechtgefriemelt, die ihm unheimlich revolutionär vorkommt – ohne zu merken, wie sehr sein oppositionelles Getue abzüglich der Gewaltverherrlichung inzwischen Lehrbuch- Konsens geworden ist.

Aber darüber hinaus hat er inzwischen auch Geschichten zu erzählen, in denen konkrete Dinge vorkommen: Zoohandlungen, ein lustiger Filmdreh, ein Einkaufsbummel, merkwürdige Alpträume und weite Reisen nach Afrika und Asien. Doch dies alles schneidet der Film wie eine erbarmungslose Subtraktionsmaschine ab. Übrig bleiben die gähnend langweilige Quintessenz, die großen Gemeinplätze Verachtung, Schmerz, Krankheit, Zerstörung und Haß.

In seinem zweiten Teil gipfelt der Film in einem endlos langen Interview mit Rollins. Zu weiß auf schwarz, oft minutenlang eingeblendeten Stichworten verzapft Rollins wie der Lehrer zum Tafelbild seine kleine Miniwelt. Und wieder geht es um violence und love und die energy, aus der sich beide speisen. Es fallen so ungemein erhellende Sätze wie „I hate society!“ und „Television is poison!“ am laufenden Meter. Zum Kotzen schal. Wenn je ein Film spartanisch und schlicht die edle Einfalt seines Gegenstands gespiegelt hat, dann dieser. Es muß viel Kraft gekostet haben, dabei den bunten, den schillernden und lebensfrohen Mitteln und Möglichkeiten zu entsagen, die ein Dokumentarfilm sonst so zu bieten hätte. Susanne Messmer

Ab heute im Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 5

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