„Fähig sein zur Auseinandersetzung“

Hamburger Wehrmachtsausstellung im Kieler Landeshaus wurde eröffnet. Der erhoffte demokratische Diskurs geriet schon am ersten Abend zum politisch-ideologischen Streit  ■ Von Simone Siegmund

Es klang wie ein Stoßseufzer: „Nun ist sie aufgebaut, die Ausstellung ,Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944'“, begann der schleswig-holsteinische Landtagspräsident Heinz-Werner Arens (SPD) am Donnerstag abend seine Rede bei der Eröffnung der Ausstellung. „Man muß diese Ausstellung nicht gut finden, aber man muß fähig sein, sich mit ihr auseinanderzusetzen.“

Der von Arens angemahnte demokratische Diskurs begann unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Trauben bildeten sich vor den Türen des Landtages, durch zwei Kontrollen drängelten sich die mehr als 300 Gäste, darunter fast das gesamte rot-grüne Kabinett, viele Abgeordnete, Künstler, Bischöfe und andere Vertreter von Spitzenorganisationen. Die Plätze im größten Saal der ehemaligen Marineakademie reichten nicht aus. Rund 100 Besucher verfolgten die Reden an einer Großbildleinwand in der Kantine. Hier wie da wirkte die Stimmung angespannt und erwartungsvoll.

Etliche Nicht-Prominente blieben allerdings draußen vor der Tür. Einer von ihnen war Peter Lindemann aus Kiel-Heikendorf. Enttäuscht und auch zornig war der Lehrer im Ruhestand. Er sei bei Kriegsende zehn Jahre alt gewesen, mehrere Familienmitglieder hätten den Krieg nicht überlebt, erzählt er. Er habe sich auf die Ausstellung vorbereitet. Vor allem die Rede des Landtagspräsidenten hatte er hören wollen. Gespannt war er auf die Begründung, warum als Ausstel-lungsort das Parlamentsgebäude ausgesucht worden war.

Die hat Arens auch geliefert: „Der Landtag hat sich selbst in der Landesverfassung definiert als das vom Volk gewählte oberste Organ der politischen Willensbildung. Damit ist der Landtag, das Landeshaus geradezu prädestiniert, Ort der Ausstellung zu sein. Ein solches Thema gehört in seiner Bearbeitung in die Mitte des Volkes und nicht an den Rand. Und zumindest symbolische Mitte ist das Parlament des Landes.“ Zum ersten Mal seit Beginn der Wanderausstellung im März 1995 auf dem Hamburger Kampnagelgelände wird sie in einem Landesparlament gezeigt.

Der Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, setzte sich in seiner Eröffnungsrede mit der Kritik der Gegner auseinander, lieferte einen Exkurs über Moral und Schuld – „die individuelle Verantwortung ist nie gleich null“ – und zerpflückte die Legende von der „sauberen Wehrmacht“.

Bewegt waren viele Zuhörer auch von den persönlichen Worten des Frankfurter Sozialforschers Ludwig von Friedeburg, der 1941 in die Kriegsmarine eintrat und dessen Vater letzter Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und Mitunterzeichner der Kapitulationserklärung war: „Ich habe Jahrzehnte gebraucht und komme doch immer wieder in die Versuchung, verharmlosende Erklärungen zu finden. Ohne die Hilfe anderer ist es sehr schwer, der Wahrheit standzuhalten.“

Viele nutzten nach den Reden die Gelegenheit, sich die Dokumentation anzusehen. In kleinen Gruppen, zu zweit oder allein standen die Menschen vor den Schautafeln. Still und nachdenklich war die Atmosphäre im Landeshaus. Große Erleichterung gab es allerdings bei den Mitarbeitern der Verwaltung, alles war ohne Störung abgelaufen.

Doch der seit Wochen andauernde Streit zwischen der CDU und den Befürwortern der Ausstellung ging am Abend noch weiter. Reemtsma hatte am Schluß seiner Rede einen Briefwechsel mit dem CDU-Landesvorsitzenden Peter Kurt Würzbach verlesen. Darin ging es um eine Hetzschrift, die Unions-Mitglieder aus Henstedt-Ulzburg verfaßt hatten. Die Reaktion von Würzbach darauf interpretierte Reemtsma als „volles Verständnis für neonazistische Umtriebe in Ihrem Landesverband“.

CDU-Fraktionschef Martin Kayenburg war darüber heftigst empört. Und nahm an dem Empfang von Reemtsma im Anschluß an die Veranstaltung spontan nicht teil.