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Schweiß und Durst

■ Unkomplizierte Annäherung an den Tanz: Die 6. Tanztheatertage im Pfefferberg präsentieren ein Programm mit viel Musik und Artistik

Sechs Dosen Erdnüsse gelten als vermißt. Nun reicht der dursterweckende Vorrat nur noch bis zur Pause. Nüsse und Getränke an der schummrigen Bar aber gehören in den Umbaupausen der Tanztage Pfefferberg mindestens so dazu wie das enge Gequetsche auf den Stufen der Zuschauertribüne. „Ausnahmezustand“ nennt das die Garderobiere, wenn die Tribüne mit knapp 140 Plätzen den Raum versperrt, wo sich sonst Hunderte zu Konzerten von Reggae, Punk-Rock, Weltmusik und DJs tummeln. Ihr Traum wäre, genau hier, im Herzen des Subground, auch Klassikkonzerte für 15 (!) Mark Eintritt erleben zu können. Denn daß es im Pfefferberg weniger kostet als anderswo, gehört zum Selbstverständnis der Kulturmacher dort.

Trotz der Lust am Crossover war die Fortsetzung der Tanztage nicht gesichert, bis vor wenigen Tagen ein Brief der Senats eintraf, der 30.000 Mark Fördermittel in Aussicht stellt. „Das verdanken wir auch dem Kulturamt Prenzlauer Berg“, sagt Barbara Friedrich, Projektleiterin für Tanz und Theater am Pfefferberg, „das beim Senat gebürgt hat, uns bei Förderung ebenfalls mit 21.000 Mark zu unterstützen. So sind die Tanztage, die im Januar und September stattfinden, zum erstenmal für ein Jahr gesichert.“

Die Lust an einer unkomplizierten Annäherung an den Tanz ist ihrem Programm noch immer anzumerken. Barbara Friedrich, die nach einer Umschulung vom Ingenieur zur Öffentlichkeitsarbeit im Pfefferberg 1996 begonnen hat, hat den Tanz selbst spät für sich entdeckt.

Deshalb macht sie kein Programm für Insider, die vor allem an der Weiterentwicklung des tänzerischen Vokabulars interessiert sind, sondern bevorzugt Tanztheater mit Geschichten oder musikalischen und artistischen Angeboten für einen schnellen Einstieg.

Von Anfang an hat sie sich an den Tanzschulen der Stadt umgesehen und Proben von Schülern der Etage, der Choreographie- Klasse an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ und im neugegründeten Balance- Studio besucht. Die 6. Tanztage bieten gleich mehrfach Gelegenheit, Absolventen von dort kennenzulernen. Von der Busch- Schule kommt die Finnin Jonna Huttunen, die ihr Stück „NO“ über die moderne Stadt als Ort unvereinbarer Realitäten vorstellt. Auch Karin Wickenhäuser, die Jandls lautmalerische Gedichte zur Grundlage nimmt, und Christoph Winkler haben dort studiert. Inzwischen wird Friedrich oft von jungen Choreographen angesprochen, für die es sonst wenig Auftrittsmöglichkeiten gibt.

Die 6. Tanztage begannen mit kurzen Tanzgeschichten. In den „Traumreisenden“ von Britta Pudelko mimte ein Kontrabassist auf einem Podest den Part des Choreographen, vor dem die drei Tänzerinnen zur Auswahl antraten. Tatsächlich gehören solche „audition“ genannten Wettbewerbe um den Eintritt in eine Compagnie in der freien Szene zu den Gemeinheiten des Alltags.

Aus Musicals kennt man die Geschichte „Girl kommt in die Stadt und bewirbt sich“ zur Genüge; das Tanztheater übt dagegen eher vornehme Zurückhaltung gegenüber den Niederungen des Konkurrenzkampfes. Was dem Stück an tänzerischer Differenziertheit fehlte, machte es durch Witz wett.

Der zweite Abend mit Choreographien von Vanessa Kienast und Dan Pelleg, den man bisher als Tänzer der Toladá dance company kannte, bestach mehr durch Geschmeidigkeit und Spannungswechsel. Mit hingewischten Bewegungen, schlaksig, pendelnd und wach malten Kienast und Susanne Künze das Bild einer Freundschaft.

Vor einer Geräuschkulisse, als ob man auf einer Verkehrsinsel über einer Diskothek stehe, stürzten sich Pelleg und Marko E. Weigert, die auch in anderen Stücken der Tanztage dabei sind, in eine Kette vertrauter Situationen, die bald ins Absurde umkippten: im Stadtpark, als Tourist in der fremden Stadt, bei der Beichte, Begegnung mit Obdachlosen.

Am Ende der Tanztage steht wieder ein Gastspiel, diesmal von der 10köpfigen Company Earthfall aus Wales. Leisten kann sich der Pfefferberg das nur dank des finanziellen Entgegenkommens der Engländer. Ihre Stücke mit Live- Indie-Musik und einer emotionsgeladenen Körperlichkeit wollte Friedrich schon lange an den Pfefferberg bringen, aber erst durch ein Gastspiel von Earthfall in Stuttgart und Brüssel wurde der Abstecher nach Berlin möglich. Katrin Bettina Müller

Tanztage Pfefferberg, bis 20. Januar, Schönhauser Allee 176. 10./11. Januar, Jonna Huttunen; 13./14. Januar, Junge Choreographen; 16./17. Januar, Winkler, Alex B., Novert Servos; 19./20. Januar Earthfall; jeweils 20.30 Uhr

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