Elftes Gebot: schrei „Yeah“!

■ „Scooter“durchschallwellte mit DJ-Techno-Pop das Modernes

Das Modernes war an diesem Abend voll wie die Hölle, die fast alle für einen Himmel hielten. Wer sich den Weg zur Toilette bahnen wollte, mußte mindenstens 20 Leute niederstechen, die im Eifer des Hüpftanzens partout den Weg nicht frei machten. Bei dieser Gewalttour konnte man gleich eine interessante Entdeckung machen: Achselhöhlen, die infolge des Hochreckens der Arme bloßgelegt sind, hinterlassen einen unangenehmeren Geruch als solche, die anständig versteckt getragen werden.

Doch niemand trug versteckt, nicht die Frisch-aus-dem-Ei-Geschlüpften, nicht die Kurz-vor-der Verwesung-Stehenden, nicht die Mehrheit der Twens. Die beiden Biertresen gar waren ohne Handgranaten nicht zu erreichen. Und das, obwohl kein Schwein Bier trank. Bei der Scootergemeinde ist nämlich die natürliche, für das wirtschaftliche Gedeihen dieser Stadt so unverzichtbare Symbiose zwischen Alkoholkonsum und Wohlgefühl nachhaltig gestört. Dabei wäre eine schwammige Säuferleber hier von großem Nutzen, könnte sie die Druckwellen der monsterlauten Bässe auf das Zwerchfell ein wenig abfedern. Aber selbst dann mußte sich auch der metall- und hardcoretrainierte Körper erst mal daran gewöhnen, seine Physis von phänomenalen Kräftevektoren aufspießen zu lassen.

Nach dieser Einstimmungsfrist aber wurde die Sache nett. Frontmann Baxxter ist ein absoluter Klasseshouter. Wenn er „Yeah“ schreit, hält man „Yeah“ für das elfte Gebot des Alten Testaments. Und wenn er „One-Two-Three-Four“ durchzählt, sieht man die Arianerakete zu fremden Galaxien aufbrechen. Es sind die neuen Techniken, die gewöhnliche Menschen, die nichts anderes können, als eindrucksvoll zu sprechen, zu Helden werden lassen. Einziges Manko: Das Wesen der Ballade ist diesem Mann verschlossen. Der letzte Ton eines Billy-Idol-Schmachtfetzen-Covers war noch nicht verflossen, da hüpfte er schon wieder. Null Versenkungsbereitschaft. Trotzdem wedelte ein Fan mitte-links eifrig mit einem elektrifiziertem Plastikherzen durch die Luft: der ergreifendste Moment dieses lustigen Abends. Scooter ist übrigens ein außerordentlich sympathischer Held. Zwar sind seine Zwischenansagen nicht gerade originell; aber daß bei ihm weder Angeberei noch Machtspielerei zu finden ist, verdient Anerkennung. Entgegen den Klischees von der megacleanen Technokultur ist die Bühnenshow dieses seltsamen DJ-Techno-Popgemischs liebenswert unvollkommen. Zwei Jungmänner, die offenbar ihren ersten Grundkurs im Breakdancen mit Ach und Krach hinter sich gebracht haben, zeigten stolz ihre neuerworbenen Fertigkeiten. Und zwei niedliche schwarze Tänzerinnen (wir vergessen jetzt mal die Überlegungen der feministischen Popphilosophin bell hooks über das verborgene Sklaventum des Soulsistertums), die mindestens 200 Mal ihre Bikinis wechselten, tanzten wie durchschnittliche Discomäuse. Da kam ich mir mit meinen 57 Jahren und 25 kg Übergewicht noch recht bewegungstauglich vor.

Warum gleich zwei Menschen vonnöten sind, um die Rolands zu bedienen, ist bei der Einfachheit dieser Musik nicht verständlich. Die beiden Maschinengötzen erfreuten aber durch eine revolutionäre Anschlagstechnik. Dabei werden die Tasten nicht schnöde durch Fingerbewegungen niedergedrückt, sondern durch Ganzkörperhüpfeinsatz. Wenn Ivo Pogorelich oder Friedrich Gulda das abkupfern würden, nicht auszudenken welch innovative Bach- und Beethoven-interpretationen uns dann beglückten. Gegen 9 Uhr 46 implodierte die Decke des Modernes im Lärmorkan. Blutlachen, abgerissene Gliedmaßen: Die gute Laune trüben konnte das nicht. bk