: Besser hassen in sicheren Zonen
■ Gestopftes Wurmloch ins gute, alte Westberlin: Im Maxim Gorki inszenierte Mark Zurmühle „Kalldewey, Farce“ von Botho Strauß
Als Dramatiker der heutigen Zeit setzt Botho Strauß keine Maßstäbe mehr. Das kann man ihm nicht zum Vorwurf machen, er ist einfach auch schon 54 Jahre alt. Seine Stücke der 70er und frühen 80er Jahre aber funktionieren gerade heute wieder ausgezeichnet als Wurmlöcher in die Glanzzeit der Westberliner Selbsterfahrungsschickeria. All diese stolzen und verwirrten, ziellos suchenden Frauen und Männer in schönen Kleidern und gänzlich ohne Außenwelt – selbst wenn es Sozialgeschichtsklitterung wäre, bliebe doch ein Eleganzfaktor, der sich für die Neunziger sonst so leicht nicht mehr erreichen läßt.
Unter der Regie von Mark Zurmühle – Hausregisseur am Schauspiel Hannover und demnächst Intendant in Göttingen – hatte am Samstag im Maxim Gorki Studio „Kalldewey, Farce“ Premiere, das fünfte Stück von Botho Strauß, entstanden im Jahr 1981. Zwei können zueinander nicht kommen, weil sie statt des anderen immer nur sich selber sehen. „Führ mich“, ruft „Der Mann“, „halt mich“, bettelt „Die Frau“ – dann trennen sie sich. Weil sich ein Spiegelbild aber nicht so einfach loswerden läßt, geht die Geschichte weiter, und zwar nicht als Tragödie, sondern als Farce. Varianten werden durchgespielt. Wie Sie mit einem Lesbenpaar zurückkommt und Ihn penthesileahaft zerfleischt. Oder wie die beiden mit den Lesben zusammenwohnen und plötzlich ein zotenreißender Fremder auftaucht, den sie nach seinem Verschwinden für den Messias halten. Oder wie die vier ihre Zeit mit mehr oder minder therapeutischen Rollenspielen verbringen. Pausenlos sich selbst erklärend und sich selbst dabei immer mehr aus dem Blick verlierend. Mit so viel Innenperspektive um sich zu werfen ist natürlich reiner Luxus, wobei dem Maxim Gorki Theater offenbar ein wenig mulmig wurde. Dergleichen zeigt man doch nicht auf offener Bühne! Hansjörg Hartung baute ins Studio entsprechend eine Art Schuhkartonbühne, mit Decke und Seitenwänden, die nur einen schmalen Bereich freilassen, durch den die ringsum auf Bühnenbodenhöhe sitzenden Zuschauer hineinspähen können. Wer hier einen Blick aufs intime Geschehen erhascht, tut das auf eigene Rechnung und darf sich hinterher nicht beschweren gehen.
So gesichert, kann das Spiel beginnen. Oder hat es bereits lange begonnen. Denn nach nur wenigen Sätzen sind Harald Schrott als Mann und Anna Steffens als Frau schon so auf hundertachtzig, als hätten sie vor Tagen angefangen, sich an die Gurgel zu gehen, und stritten sich jetzt nur zur Abwechslung mal auf den Text von Botho Strauß. Diese Grundaggressivität kennzeichnet auch die anderen Szenen.
Ursula Werner macht als Lesbe M einen auf Hauswartsfrau, Carolin Mylord als Lesbe K geht den Männern ihrer Umgebung mit zweifelhafter Absicht an die Wäsche. Lediglich Rainer Wöss als Kalldewey schickt seine Zoten mit dümmlichem Grinsen in die Runde. Ansonsten herrscht beständiges Lauern und lautstarkes Suchen nach den Schwachstellen des anderen, giggerndes Zutreten und hysterisches Aus-der-Haut- Fahren, eigentlich ohne ersichtlichen Grund. Hasse dich selbst, dann hassen dich auch die anderen.
Natürlich, warum nicht auch mal so. Trotz aller Millenniumsstimmung herrscht draußen in der wirklichen Welt ja auch kein allgemeines „Aquarius“-Singen. Dennoch geht mit dieser Sichtweise auch die Contenance verloren, die dem Strauß-Stück seine historische Eleganz gibt. Dieses Sichverheddern in der eigenen Rhetorik, diese Hilflosigkeit, die in all den vielen Worten steckt, die natürlich ganz unnötigerweise gemacht werden. „Kalldewey, Farce“ ist ein Spiel ist ein Spiel. Zur Jetztzeit und zur Wut hat es nicht wirklich etwas zu sagen. Petra Kohse
„Kalldewey, Farce“, nächste Aufführungen am 25. und 26.1., 20 Uhr, Maxim Gorki Studio, Hinter dem Gießhaus
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