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Make me come!

■ Immer mittendrin: Der alte New-Soul-Star Keith Sweat vereint Club und Candlelight. Äußerst kassentauglich, das versteht sich

Bei New Soul-Artisten ist alles immer eine Nummer zu groß, um wahr zu sein. Seien es lautstarke Eifersuchtsdramen, tolldreiste Liebesschwüre oder diese stets impertinenten Aufforderungen, mit seinem Körper alle möglichen verrückten Dinge auf dem Dancefloor zu tun. Keith Sweat ist auch so ein Sänger, der in Sachen Club und Candlelight unterwegs ist.

Wenn die Popgeschichte fünf gerade sein ließe, würde der gebürtige New Yorker darin als einer der Wegbereiter des New Jack Swing respektive Swing Beat oder eben New Soul eingehen. Freilich erst nach Teddy Riley und Mary J. Blige. Seit über zehn Jahren wird dieser wohlfeile Soundbastard aus Funk und HipHop als aktueller wie kassentauglicher Konsens für College- und Ghetto-Kids gehandelt. Und Keith Sweat ist immer mittendrin.

Auch wenn der Enddreißiger mittlerweile nicht ganz so taufrisch wirkt wie vitale Stimmband-Formationen vom Schlage Smooth, Jodeci oder Silk, die Grundregeln sind dieselben geblieben: Strophe, Rap, Refrain, yeah baby, give it to me all night long, make me come! Die Produktion ist fett, der Beat ist hier eine Frage der Perfektion, weniger soziales Statement. Und in den Videos schubbern sich durchdesignte Beaus vor brennenden Ölfässern an zwei bis fünf dieser unglaublichen schönen und jungen Babes. Modern Souler wie Keith Sweat behandeln die Liebe wie Heavy Metal-Bands den Haß. Beide Genres sind Paralleluniversen, in denen sich das Gegenüber als eine vage Mischung aus Wunschprojektionen und eskapistischem Schnickschnack zusammensetzt. Eine aufs Leben ausgerichtete Relevanz hingegen besitzen beide nicht, es geht ausschließlich um die ritualisierte Beschwörung festgelegter Szene-Codes.

Künstler wie Keith Sweat ziehen zu jeder Zeit und an jedem Ort ihren Stiefel durch, und deswegen klingt auch alles gleich. Der Stilhaushalt des US-Soul wurde längst von Künstlern wie Marvin Gaye, Teddy Pendergrass oder Luther Vandross auf der einen und Aretha Franklin, Millie Jackson oder Angela Winbusch auf der anderen Seite festgeschrieben. Mehr Seele geht auch in Amerika nicht. Vielleicht hat der Luxus-Crooner Sweat gerade deshalb nach einem super-slicken Gemeinschaftsalbum mit Gerald Levert und Johnny Gill die Straßenkünstler Snoop Doggy Dogg, Erick Sermon und Jermaine Dupri ans Mikro gebeten, um Bewegung zu suggerieren und dem übermüdeten Schlafzimmer-Soul mit Gangsta-Rap ein wenig auf die Sprünge zu helfen.

In Europa indes werden die großen Stars von drüben eher nach der Möglichkeit des wahrhaftigen Erscheinens eingeteilt. Die Chancen stehen meistens schlecht, siehe En Vogue. HipHopper kommen dann nicht, weil sie aus jeder wie auch immer gearteten Ungereimtheit ein Politikum machen. Souler, weil die bloßen Zahlen nicht stimmen. Und die von Keith Sweat sehen derzeit schwarz aus.

Oliver Rohlf

Di, 19. Januar, 20 Uhr, Große Freiheit

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