: Zum Anwalt nur mit gültigem Passierschein
■ Klage gegen Gebietsverbot / Rechtsanwalt besteht auf Schweigepflicht
„Es kann nicht angehen, daß für Anwaltsbesuche, die der Vertraulichkeit unterliegen, erst die Zustimmung der Polizei eingeholt werden muß,“ empört sich der St. Georger Rechtsanwalt Ernst Medecke. Er hatte Widerspruch eingelegt, als gegen einen seiner Mandanten ein Gebietsverbot ausgesprochen wurde.
Doch die Schweigepflicht für Rechtsanwälte und der Anspruch auf freie Wahl des Rechtsbeistandes kann in St. Georg offenbar doch eingeschränkt werden. In ihrem ablehnenden Bescheid versucht die Behörde für Inneres die Quadratur des Kreises plausibel zu machen: Das Gebietsverbot für die Dauer von sechs Monaten „schließt Anwaltsbesuche und die freie Wahl eines Anwaltes nicht aus“, fand die Rechtsabteilung der Polizei heraus.
Es könnten „Ausnahmen von dem Verbot im Einzelfall erteilt und ein Anwaltsbesuch somit ermöglicht werden“. Im Klartext: Wenn Medeckes Mandant, der minderjährige Özcan A., glaubhaft nachweist, daß er zu seinem Anwalt will, wird ihm ein polizeilicher Passierschein ausgestellt. Angesichts der „hochwertigen Rechtsgüter“, die in St. Georg durch die Drogenszene gestört würden, sei ein dauerhaftes Aufenthaltsverbot im Viertel „als verhältnismäßig anzusehen“. „Das Anwaltsgeheimnis wird in keiner Weise berührt“, ist die Innenbehörde überzeugt.
„Ich habe eine Schweigepflicht“, erinnert Medecke die Innenbehörde an die Prinzipien des Rechtsstaats. Weder dürfte sein Mandant genötigt werden, den Namen seines Anwalts preiszugeben, noch dürfe überprüft werden, ob der Betreffende wirklich zu ihm geht. Die Verfügung sei „rechtswidrig“. Seinem Mandanten „wird das Recht auf freie Anwaltswahl beschnitten“.
Jetzt will Medecke für seinen Mandanten klagen. Die Behörde hätte „sich gar nicht erst die Mühe gemacht, eine Ermächtigungsgrundlage für ihre Verfügung zu benennen“, so Medecke. Zur Gefahrenabwehr dürfte vorübergehend ein Aufenthaltsverbot erteilt werden. Sechs Monate könnten aber kaum als „vorübergehend“ gelten. Auch könne von einer mutmaßlichen Straftat – Öczan wird ein Drogendelikt vorgeworfen – nicht gefolgert werden, daß daraus fortwährend neue entstehen.
Der engagierte Ausländerrechtler Medecke hat aber auch in eigener Sache Widerspruch eingelegt. Wenn seinen Mandanten Steine in den Weg gelegt würden, seine Kanzlei aufzusuchen, „ist davon auszugehen, daß sie sich anderen Anwälten zuwenden.“ Medecke sieht daher nicht nur erhebliche wirtschaftliche Nachteile, sondern auch eine Behinderung seiner Berufsausübung. Diese Beschwerde hat er jetzt der Rechtsanwaltskammer vorgelegt. Silke Mertins
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