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Grenzziehung ist immer subjektiv –betr.: „Schäuble mußte draußen bleiben“, (Vortrag des CDU-Vorsitzenden an der TU Berlin verhindert), taz vom 14. 1. 99

[...] Im Publikum entwickelte sich eine unter verschiedenen Gesichtspunkten äußerst interessante Diskussion über die Legitimität dieser Aktion.

Zunächst ist die Frage, ob das Stören einer Veranstaltung generell legitim ist: Wenn man sich zum Beispiel auf der einen Seite eine Rede des weithin respektierten Bundespräsidenten, auf der anderen Seite eine Wahlkampfveranstaltung einer rechtsradikalen Partei vorstellt, wird sehr schnell klar, daß irgendwo eine Grenze gezogen werden muß.

Eine Grenzziehung ist aber immer etwas Subjektives, daher müssen reine Störaktionen im Grunde eine legitime Form der Meinungsäußerung sein, deren Aussage zwar bei weitem nicht so differenziert ist wie beispielsweise der Austausch in einer Diskussion, deren Wirkungsgrad und grundsätzliche Symbolik dafür wesentlich größer ist.

Es ist also eine individuelle Einschätzung, ob die Person oder der Inhalt inakzeptabel genug ist, um eine Reaktion dieser Qualität zu rechtfertigen. Die Personen, die dieses bejahen, müssen die Verantwortung für ihre Entscheidung übernehmen. Die, die es verneinen, sollten sich aber im Gegenzug dazu angehalten sehen, die Sichtweise der Protestierer nachzuvollziehen, da Demonstration und Versammlung zu den anerkannten Kommunikationsformen unserer Demokratie gehören.

Der zweite interessante und alarmierende Sachverhalt ist, daß offenbar das Interesse für tatsächliche konstruktive Diskussion abnimmt, während das für plakative Aktionen und Polemik zunimmt.

Dies ist zum einen eine Folge der Erziehung und Prägung in unserer Gesellschaft.

Wenn schon Schulkinder beigebracht bekommen, daß eine öffentlichkeitswirksame Demonstration immer gut ist, wenn Gelder im Schulhaushalt gekürzt werden, aber nicht oder zumindest nicht nachdrücklich genug die Wichtigkeit der Information, des Verstehens von Zusammenhängen und des Schließens von Kompromissen betont wird; wenn die vielzitierte Ellenbogengesellschaft uns täglich zeigt, daß es nicht um gegenseitiges Verständnis und Entgegenkommen, sondern darum geht, der stärkere, schnellere, reichere, modernere zu sein; dann muß sich niemand wundern, wenn die wirklich aktive und interessierte Beteiligung an Politik noch weit hinter der Wahlbeteiligung zurückbleibt, schon fast zu weit.

Zum anderen, muß die Demokratie sich fragen lassen, ob ihre Kommunikationsformen noch dem Menschen gemäß sind. Es ist ein überraschend einleuchtender Gedankengang, daß der politische Diskurs in der ganzen Welt davon ausgeht, daß es keine brauchbare Alternative zu der Kombination aus Demokratie und sozialer Marktwirtschaft gibt, wobei diese nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ihren idealistischen Charakter verloren hat, da dieser eben in der Verhinderung der Weltrevolution, der Gegnerschaft zum Kommunismus, bestand.

Ein weiteres fast einhellig akzeptiertes Prinzip ist das des „Sachzwanges“, der den Handlungsspielraum stark einschränkt. Die Folge dieses Phänomens ist eine hohe Verbreitung von Radikalität, wobei hierzu nicht nur der Links- und Rechtsradikalismus, sondern auch die Politikverdrossenheit (als der mangelnde Glaube an die realen Möglichkeiten zu einer Verbesserung), die Verfolgung einer nur auf Geld und „Erfolg“ ausgerichteten Philosophie und die Flucht in extreme, weltvernachlässigende Religiosität zählen.

In diesem Licht ist die von immer mehr Politikern vertretene Ansicht, daß Utopien etwas Überflüssiges sind, hochgefährlich. Für das nächste Jahrtausend brauchen wir neue Utopien für einen neuen, gemeinsamen Weg aller Menschen, der auf nichts unbedingt festgelegt ist, außer darauf, ein höchstmögliches Maß an Lebensqualität, Freiheit und Gleichheit der Chancen aller Menschen zu erreichen, und der sich auch nicht durch Sachzwänge verhindern läßt, da mit gemeinsamen Kräften jedes Problem gelöst werden kann. Benjamin Braatz, Berlin

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