Das kleine Wunder von Weißenfels

Ein bißchen NBA-Zauber im Miniformat: Der einzige Ostverein unter den 38 Basketball-Bundesligisten ist drauf und dran, in die erste Spielklasse aufzusteigen  ■ Aus Weißenfels Markus Völker

Gleich am Eingang der Weißenfelser Sporthalle West steht Torsten Hänel hinter einem Klapptisch und verkauft Bier. Er zapft bei jedem Heimspiel des Basketball-Zweitligisten SSV Hagebau Weißenfels. Marktschreierisch preist der Fliesenleger das „Weißenfelser Felsbräu“ nicht eben an. Er findet sogar, es schmecke „richtig fürchterlich“. Doch auch so geht das Geschäft ganz gut, denn die 1.000 Zuschauer in der stets ausverkauften Halle haben in der laufenden Saison meist einen Sieg zu begießen. „Das boomt gewaltig“, meint Hänel.

Sogar Basketball-Uninteressierte treibt es mehr und mehr zu den Korbschützen. „Ich hatte vorher auch keine Ahnung, aber neulich habe ich sogar Mann gegen Mann mit unserem Spanier ,Santi‘ gespielt und einen Korb gemacht.“ Daß er auch zwölf bekommen hat, ist ihm nur ein Nebensatz wert. „Santi“ ist der Spitzname für Aufbauspieler Santiago Ibanez, der vor der Saison vom Erstligisten TTL Bamberg nach Sachsen-Anhalt gekommen ist. An die ostdeutsche Provinz hat sich der Mann aus Valencia nur schwer gewöhnt, jedoch um so schneller an die ausgelassene Stimmung im „Wolfsbau“, wie die Fans die Halle ihrer Wolves nennen.

Die Szenerie ist stimmig, ein bißchen NBA-Zauber im Kleinformat. Cheerleader schwingen Fummel und Beine. Aus dichtem Nebel treten die Spieler aufs Parkett. Die Roßbacher Musikanten spielen immer wieder einen Song, zu dem Fußballfans „Wo bleibt denn das 2:0“ singen würden. Der Rap der „Funky Wolves“, von den Basketballspielern selbst aufgenommen, ertönt. Und nur das Maskottchen wird seinem Image als wildes Raubtier nicht ganz gerecht. Etwas träge tänzelt es durch die Ränge.

Weißenfels ist der einzige Ostverein unter 38 Bundesligisten. Zum ersten Mal seit dem Aufstieg vor eineinhalb Jahren spielen sie vorn mit in der Gruppe Nord der Zweiten Liga und sind momentan sogar Tabellenführer. „Gar nicht so überraschend“, wie Coach Frank Menz findet. Der smarte Berliner ist Basketballer „durch und durch“. Vor zweieinhalb Jahren ist er in die 40.000-Einwohner- Stadt an der Saale gekommen, erst als Spieler, dann als Trainer. Er hat Erstligaerfahrung bei den Neuköllner Sportfreunden, AdW Berlin und bei Alba Berlin gesammelt. Und er hat die Frauen von Wemex Berlin gecoacht, bevor sie in Konkurs gingen. „Mit Finanzcrashs kenne ich mich also aus“, sagt er. „Aber hier läuft alles solide, wir sind finanzkräftig.“ Garant dafür ist Präsident Joachim Stumpf, regionaler Chef der Baumarkt-Kette Hagebau und einer, so Menz, „den hier jeder kennt und der jeden kennt“.

Die Finanzspritzen des Mitfünfzigers machen das „kleine Wunder von Weißenfels“ (Stumpf) möglich. Zum Beispiel auch den Sieg über Erstliga-Tabellenführer Bonn im Pokal, selbst wenn danach im Achtelfinale gegen Rist Wedel verloren wurde. Der Etat liegt in dieser Spielserie bei 900.000 Mark, vierzig Prozent davon schießt Hagebau zu. Nur die Konkurrenten aus Hamburg und Quakenbrück haben mehr Geld. Menz hat ein internationales Team nach Weißenfels geholt. Aus Litauen kommt 2,10 m-Center Raimondas Leikus, von der iberischen Halbinsel Santiago Ibanez, und Douglas Spradley sowie Bruno Roschnafsky haben einen deutschen Paß, sind aber in den USA und Rumänien geboren. Die ersten fünf ergänzt der Berliner Ingo Freyer.

Die Basketballer sind so ziemlich der einzige kulturelle Faktor im tristen Weißenfels. Es ist nicht viel los hier. Ringsum Chemieindustrie und Kasernenbrachen. Hohe Arbeitslosigkeit. Schlechte Perspektiven. Was zieht Basketballprofis in so eine Ecke? „Anfangs natürlich eine gute und pünktliche Bezahlung“, weiß Coach Menz. Doch mittlerweile habe sich Weißenfels einen guten Ruf erarbeitet, man wisse, daß das keine „Eintagsfliege“ sei, und „die Spieler sind Stars im mitteldeutschen Raum. Das regionale Medieninteresse ist richtig groß. Diese Anerkennung bekommen die Spieler nicht, wenn sie in Berlin Zweite Liga spielen, da kennt dich kein Mensch.“ Außerdem sei der Zusammenhalt hier größer, „viel familiärer, das kennen die aus anderen Vereinen nicht so“.

Weißenfels möchte in die Eliteklasse des deutschen Basketballs aufsteigen. Doch die ehrgeizigen Pläne schaffen Probleme. Das Umfeld kann nicht so schnell wachsen wie das Niveau der Mannschaft, es mangelt an einer erstligatauglichen Halle, der Etat müßte noch mal um ein Drittel angehoben werden. Menz, ein Vertreter der jugoslawischen Basketballschule, in der vor allem Angriffsdisziplin und aggressive Verteidigungsarbeit gelehrt werden, ist aber nach Meinung von Bierverkäufer Hänel ein „harter Hund. Der wird es schon packen.“

Hänel sollte es wissen. Nach dem Training zockt er manchmal mit Menz. Doch, so räumt Hänel ein, lieber spiele er gegen „Santi“, den Spanier, „der macht nur eine lockere Verteidigung, da ist schon mal ein Korb für mich drin – im Gegensatz zum Coach“.