piwik no script img

Rebensaft raubt Lebenskraft

Weintrinker leben länger. Sagt die Weinindustrie und empfiehlt, täglich zwei bis drei Gläschen des Allheilmittels zu sich zu nehmen. Alles Lüge, widersprechen Ernährungsforscher und Mediziner. Schon kleinste Mengen des beliebten Genußmittels Alkohol können die Gesundheit irreversibel schädigen  ■ Von Thorsten Klapp

Die frohe Kunde kommt aus Mainz: In bunten Infobroschüren und Medienbeiträgen verkündet die dort ansässige Deutsche Weinakademie – eine Einrichtung der Weinwirtschaft – neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich in drei Worten zusammenfassen lassen: „Weintrinker leben länger.“

Begründet wird diese These damit, daß der Wein lindernd auf koronale Herzerkrankungen wirkt. Das tägliche Gläschen Wein beugt demzufolge der Todesursache Nummer eins, dem Herzinfarkt, vor. Dies zumindest machen zahlreiche epidemiologische Studien plausibel. Und weil daran kaum ein Wissenschaftler noch zweifelt, zieht Professor Klaus Jung, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Weinakademie, den Schluß: „Abstinenzler sterben früher als Weintrinker.“

Serviert wird diese Botschaft an den Konsumenten mit einem bunten Strauß weiterer Argumente, wie Wein die Gesundheit fördern soll: „Regelmäßiger und maßvoller Weingenuß unterstützt die Abwehr von Krankheiten“, „verbessert die Verdauungsleistung des Körpers“, „entschlackt den Körper“, „bekämpft wirkungsvoll die gefürchtete Reisedurchfallerkrankung“, „verlangsamt die Knochenentkalkung“, „hält körperlich und geistig aktiv“ und „entspannt und baut Streß ab“. Fazit: „Moderater Weingenuß ist gesund.“ Täglich zwei bis drei Gläschen Wein für die Dame und drei bis vier für den Herrn – mit bester Empfehlung der deutschen Weinwirtschaft.

Die Ernährungswissenschaftlerin Christiane Bode von der Universität Hohenheim hält diese Argumente der Weinlobbyisten für gewissenlos. „Damit geben wir den Menschen, die zuviel trinken, ein Alibi.“ Aus gesundheitlicher Sicht trinken die Deutschen ohnehin schon zuviel: Im Durchschnitt etwa elf Liter reinen Alkohol pro Kopf und Jahr. Bode weiter: „Es gibt eine ganze Gruppe von Leuten, für die Alkohol absolut nicht geeignet ist: zum Beispiel sämtliche Frauen, die schwanger sind oder schwanger werden wollen.“

Für Alkohol in der Schwangerschaft gibt es nämlich keine Schwellendosis, ab der er schädlich wirkt. Kleinste Mengen können schon das heranwachsende Leben schädigen. „Jährlich haben wir mindestens zweitausend durch Alkohol geschädigte Kinder“, beklagt sie. „Bei der Kontergan-Affäre vor 30 Jahren haben alle aufgeschrien. Über Alkohol aber redet kein Mensch!“ Für Hepatitiskranke, so die Ernährungswissenschaftlerin, sollte Alkohol ebenso tabu sein wie für Jugendliche oder für Personen, die Medikamente einnehmen, da Alkohol starken Einfluß auf die Verarbeitung der Arzneimittel duch den Stoffwechsel hat.

Gänzlich werden in den „Aufklärungsschriften“ der Deutschen Weinakademie die Ergebnisse zahlreicher Studien verschwiegen, die bereits geringe Alkoholmengen mit der Entstehung von Brustkrebs in Verbindung bringen. Bedeutungsvoll in diesem Zusammenhang wurden sechs Studien aus Kanada, Schweden, den Niederlanden und den USA, die insgesamt über 300.000 Frauen einschlossen. Die gemeinsame Auswertung erfolgte nach einem Beobachtungszeitraum von elf Jahren. Das Ergebnis: Mit jedem Gramm Alkohol steigt – bis zu einer Menge von 60 Gramm täglich – das Brustkrebsrisiko linear an. Frauen, die täglich zwischen dreißig und sechzig Gramm Alkohol tranken, hatten ein um 41 Prozent höheres Brustkrebsrisiko als Abstinente. Nicht nur für Christiane Bode steht fest: „Alkohol ist ganz klar eine Ursache zur Entstehung von Brustkrebs.“

Auch die Vertreterin des Deutschen Weininstituts, Claudia Stein-Hammer, muß angesichts der Faktenlage eingestehen, daß Alkohol den Weg für krebserregende Substanzen, beispielsweise Umweltgifte, Tabakrauch, chemische Dämpfe, ebne. Alkohol kann in Kombination mit diesen Erregern schneller zu Krebs führen. Nicht nur zu Brustkrebs. Gemäßigter Alkoholkonsum läßt auch das Risiko für Karzinome in Mundhöhle, Rachen und Kehlkopf ansteigen, wie jüngere Studien eindeutig belegen. Die Tatsache, daß Bevölkerungsgruppen wie die Mormonen und Sieben-Tags-Adventisten, denen aus religiösen Gründen der Genuß von Alkohol verboten ist, deutlich weniger an diesen Krebsarten erkranken, unterstreicht die Erkenntnisse.

Vor diesem Hintergrund relativieren sich die Argumente der Weinakademie. „In bester Orwellscher Sprachverdrehung versuchen die Protagonisten dieser Einrichtungen der Bevölkerung einzureden, daß Alkohol ebenso nützlich für die Gesundheit sei wie Zündhölzer für die lodernde Leidenschaft des Pyromanen“, so der Psychologe Volker Beck von der Deutschen Krebsgesellschaft. „Es ist unerträglich, wenn der Lobbyist Nicolai Worm in seinem mittlerweile zum Bestseller avancierten Buch Täglich Wein allen Ernstes behauptet, der Verzicht auf Wein sei ein Risikofaktor für die Gesundheit.“

Großangelegte Werbemaßnahmen der Weinwirtschaft führen zweifelsohne zu einem Anstieg des Weinkonsums. Befürchtet werden muß, daß Abstinente aus „Verantwortung“ gegenüber ihrer Gesundheit zur Flasche greifen. Denn das Genußmittel Alkohol ist und bleibt auch ein Suchtmittel. Fungiert er als Ventil zum Abbau von Frustration und Streß sowie als Ersatzbefriedigung, ist die Gefahr groß, in die Abhängigkeit zu gleiten. Der Übergang vom Gelegenheitstrinken zum gewohnheitsmäßigen Trinken bis hin zur Sucht ist oft schleichend.

2,5 Millionen Alkoholkranke leben in der Bundesrepublik. Etwa 250.000 davon sind Kinder und Jugendliche. Sicher: „Nicht jeder Alkoholkonsum führt zur Abhängigkeit, viele Erwachsene haben gelernt, in Maßen zu genießen“, so Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer. „Wer allerdings Alkohol als Problemlöser benutzt, sollte dringend einen Arzt oder fachkundigen Therapeuten aufsuchen. Durch Alkohol werden keine Probleme gelöst, sondern viele neue verursacht.“ Dazu gehöre nicht nur die bekannte Leberzirrhose und die vielleicht nicht ganz so bekannte, häufig tödlich verlaufende Entzündung der Bauchspeicheldrüse, sondern auch schwere und schwerste Erkrankungen vieler anderer Körperorgane, informiert die Ärztekammer. „Das zentrale Nervensystem ist ebenso betroffen wie der Magen-Darm-Trakt. Herzmuskelerkrankungen und hoher Blutdruck sind weitere Folgen des Alkoholmißbrauchs.“ Jährlich sterben in Deutschland etwa 40.000 Menschen an den Folgen dieses Suchtmittels.

Man dürfe nicht den Fehler machen, die legalen Drogen als harmlos einzustufen, weil sie gesellschaftlich anerkannt sind, warnt Ärztekammerpräsident Vilmar. Die gesundheitlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Alkoholmißbrauchs würden immer noch unterschätzt. „Im internationalen Vergleich sind wir leider immer noch Weltmeister im Trinken. Das muß sich ändern“, so Vilmar. „Wir werden nicht umhinkönnen, die Alkoholwerbung gänzlich zu verbieten.“ Reizworte für die Weinwirtschaft – sie verweist selbstsicher auf ihre „harten Fakten“, die den Wein regelrecht als Lebensretter enthüllen: „Mäßiger Alkoholgenuß schützt das Herz und wirkt damit lebensverlängernd.“ Allen Nebenwirkungen zum Trotz schlägt Nicolai Worm in der Beilage Vinomed der Zeitschrift Der Kassenarzt vor, „Wein auf ärztliche Anordnung zur Prävention und Therapie von Herz- und Hirninfarkt, Krebs, Alzheimer und anderen Erkrankungen“ anzuwenden.

Die Weinakademie legt Wert auf die Feststellung, daß die heilende Wirkung des Weines nicht nur auf den Alkohol an sich zurückzuführen sei, sondern auch auf die Inhaltsstoffe der vergorenen Trauben: die Polyphenole. „Sie verhindern schädigende Sauerstoffreaktionen im Organismus, das heißt, sie wirken der Bildung ,freier Radikaler' entgegen“, erklärt Professor Jung. Erich Dederichs von der Deutschen Brauwirtschaft stimmt dem zu. Aber: „Nicht nur Wein, sondern auch Bier hat heilsame Wirkung. Denn Polyphenole gibt es auch im Bier“, sagt er und verweist auf eine Studie, die Bier als „Arznei“ enthüllen will.

Selbstverständlich enthält auch Traubensaft diese heilsamen Stoffe. Schließlich stammen die Phenole aus pflanzlicher Kost. Und sie ist es, die normalerweise dafür sorgt, daß es bei ausgewogener Ernährung erst gar nicht zu derartigen Herzkrankheiten kommt. Andreas Hahn, Ernährungswissenschaftler an der Uni Hannover, stellt klar: „Nicht der Verzicht auf Wein ist die Ursache für Herz-Kreislauf- Erkrankungen, sondern die unausgewogene Ernährung.“ Also zuviel tierisches Fett, Fleisch und Fabrikzucker sowie zuwenig Obst und Gemüse. Darüber hinaus auch Bewegungsmangel, Rauchen und Streß.

„Die Werbeaussage: Täglich Alkohol schützt Ihre Gefäße, ist ein Trugschluß“, meint auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). „Wer seine Gefäße schützen will, kann dies am besten durch richtige Ernährung und Bewegung tun. Eine fettarme Ernährung und regelmäßige Bewegung schützen besser vor Herzkrankheiten als Alkohol.“

„Es ist international statistisch gut belegt“, fügt Hahn hinzu, „daß Vegetarier deutlich seltener an Herzkrankheiten leiden. Damit meine ich eine Personengruppe, die den präventiven Ernährungsempfehlungen folgt: Stark pflanzlich orientiert, Vollkorn, Obst und Gemüse, wenig tierisches Fett und generell wenig vom Tier stammende Lebensmittel. Aber so, wie es die Weinakademie dem Verbraucher darstellt – weiter essen wie bisher, einen Schoppen Wein dazu trinken, dann habe ich für meine Gesundheit das Beste erreicht – ist ein Fehlschluß.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen