: „Ihre Zigarren sind in Sicherheit, Sir!“
Wer als Erfolgsmensch und perfekter Bonvivant gelten will, raucht heute dicke Zigarren. Vorbei die Zeiten, in denen die qualmenden Torpedos als Requisite für feiste Kapitalisten belächelt wurden. Cigar Dinners in stickigen Restaurants gelten neuerdings als Hochgenuß. Mit süchtelndem Zigarettenkonsum haben jene Selbstinszenierungen wenig zu tun. Ein Loblied ■ von Franz Schiffer
Was hat Gerhard Schröder mit Geraldine Chaplin und Sigmund Freud zu tun? Gewiß kann der Kanzler sich fast so geschickt in Szene setzen wie die eigenwillige Schauspielerin. Und nehmen wir einmal an, daß er manchmal den analytischen Durchblick des großen Seelendoktors hat. Was alle drei fest verbindet, ist aber viel heißer: Zigarren, handgerollt natürlich und überaus entspannend in einer Drehpause oder beim Verfassen psychologischer Schriften oder – nach einer Bundestagswahl. Breit lächelnd hat uns der Sieger vor Augen geführt: Es gibt doch noch Rauchzeichen von einer noblen Tabakware, die den Deutschen seit Jahrzehnten verglimmen will.
Keine andere Art zu rauchen ist älter, heißt es. Zumindest läßt sich ihr Eintritt in die abendländische Geschichte genau datieren. Am 28. Oktober 1492, ein Sonntag ist's und auf einer karibischen Insel, kommt ein Matrose des Kolumbus vom Landgang zurück. Seine Nachricht: Er hat Wilde getroffen, die herzhaft an Rollen saugen – in Maisblätter gewickeltes Tabakkraut. Spanier und Portugiesen verfeinern die Sitte bald zum fürstlichen Vergnügen. Jenseits der Pyrenäen ist die Zigarre vollends im 19. Jahrhundert salonfähig. Gut möglich, daß man damals ihr zuliebe das Herrenzimmer erfindet. Bismarck hält sie sogar auf Schlachtfeldern hoch. Freud pafft zwanzig Stück am Tag trotz der um 1918 aufglühenden Zigarette.
Nach einem Luftangriff auf London erhält Winston Churchill den erlösenden Anruf: „Your cigars are safe, Sir.“ Die beträchtlichen Havannavorräte des britischen Premierministers haben überdauert. Bis heute ist Churchill der einzige Mensch geblieben, der Zigarren mit Papierringen rauchte, die sein eigenes Konterfei trugen. Geschätztes Lebenspensum des schwergewichtigen Briten: 300.000 Rollen in über neunzig Jahren. Hat er den dicken Keulen am Ende nicht seinen Ruhm verdankt? Woher sonst rührte sein stoischer Einklang mit sich selbst? Auf dem Theater, in Filmen ist es jedenfalls öfter so: Wenn Politiker um Leben und Tod ihrer Nationen verhandeln, wenn mächtige Banker über Milliarden entscheiden, zünden sie sich erst mal eine Zigarre an. Ein kapitalistisches Ritual, sicher. Aber mehr noch ein Zeichen innerer Sammlung, eine Quelle der Inspiration auch für Musiker und Literaten. Arthur Rubinstein hielt sich seine eigene Tabakplantage auf Kuba. Bert Brecht, der eitle Selbstdarsteller, ließ sich fast nur mit qualmender Virginia ablichten. Wer weiß, wie B. B. vor dem berüchtigten McCarthy- Ausschuß ausgesehen hätte, wäre der Vorsitzende dieser Jäger gegen „unamerikanische Umtriebe“ nicht auch ein passionierter Zigarrenfan gewesen.
Kräftige Brasilsorten bevorzugte einer von Gerhard Schröders Vorgängern: Ludwig Erhard. Der predigte zwar gern das Maßhalten, schmauchte aber selbst maßlose Wirtschaftswundertorpedos – und viele Landsleute schmauchten mit. 1960 wehte das Aroma von gut vier Milliarden verkauften Zigarren durch die Republik. Nie war die BRD-Luft dicker. Dann legte der Zeitgeist ein anderes Tempo vor, die Liebe zur fülligen Schwester des Glimmstengels begann zu erkalten. Der jährliche Absatz hierzulande ist inzwischen – Asche zu Asche – auf jämmerliche 1,2 Milliarden gesunken.
Männer über dreißig, einst ein gewaltiges Reservoir der Zigarrenbranche, finden es heute schick, sich als Nichtraucher zu präsentieren. Oder sie bleiben bei der Zigarette, weil die sich tief auf Lunge rauchen läßt und den raschen Gemütskick verspricht. Mit einer blumigen Sumatra nur den Gaumen anzuregen und Träumen nachzusinnen ist dem eiligen Raucher zu dürftig. Hinzu kommt: Anti-Nikotin-Feldzüge zündeten gerade bei Zigarrenfreunden. Die meisten sind nämlich nachdenkliche Köpfe, bedächtige Genießer. Darum, so mutmaßen Zigarrenstrategen, fällt ihnen der Abschied vom riskanten Dunst leichter als Suchtrauchern.
Die meisten Zigarrenraucher greifen heutigentags zum Zigarillo – so schlank und kurz wie eine Zigarette und ebenso schnell konsumiert. Andere wollen zwar länger saugen, aber nur extra versüßte, aromatisierte Tabake. Sie duften nach Vanille, Kirsche oder Pflaume, als käme der köstliche Qualm aus einem Pfeifenkopf. Bei aller Geistesverwandtschaft mit Pfeifenrauchern galt dieses Soßen des Zigarrentabaks einmal als eisernes Tabu. Daran gemahnt auf Kuba allein der gängige Name für die berühmten Exportartikel: los puros, die Reinen.
Ausgerechnet aus dem Marlboroland kam eine Welle der Rückbesinnung. Nach all den Mahnungen amerikanischer Gesundheitsaposteln waren sie 1995 plötzlich in – Cigar Dinners in feinen Restaurants. Hollywood-Größen wie Arnold Schwarzenegger und Sharon Stone wurden zugkräftige Vorraucher. Selbst Bill Clinton sah man ab und an mit einem prächtigen Großformat zwischen den Lippen – eine Liebhaberei, die er sich öffentlich versagt, seitdem er und die Praktikantin mit dem Feuer spielten. Hillary allerdings, so war zu lesen, hatte ihm den Zigarrengenuß schon vorher verboten. Von phallischer Zweideutigkeit wollte schon Sigmund Freud so recht nichts wissen. Sein gelassenes Urteil: „Eine Zigarre ist manchmal nur eine Zigarre.“
Auch in Deutschland sind Smoker's Dinners in Mode gekommen: Drei bis fünf Gänge, dazu ausgesuchte Weine und Cognacs und Vorträge von Zigarrenkennern. Zwischendurch werden aus wohlgefüllten Kistchen erlesene Coronas, Panatellas oder Churchills gereicht. Der Wert dieser Kostproben übertrifft bisweilen die Eintrittspreise fürs ganze rauchige Event. Noch elitärer geben sich Havanna Lounges in Hamburg und Frankfurt: behagliche Klubräume für den Small talk unter Managern, gleich daneben die begehbare Klimakammer voll von Edelzigarren.
Eine „kleine Renaissance“ ihres Vorzeigeprodukts sei da im Gange, hüstelt erfreut der Bundesvorstand der Zigarrenindustrie. Daß auch der neue Kanzler einen gepflegten Smoke schätzt, kann da nicht schaden. Allerdings hält der das gute Stück lieber diskret in Hosennahthöhe, sobald sich Fotografen nähern. Mag sein, daß die politische Urheimat des Sozialdemokraten nicht anbrennen soll, schließlich zahlt man für jedes Exemplar seiner Lieblingssorte ab 16 Mark aufwärts. Von Sogwirkungen wird schon berichtet: Als neulich in der Berliner Daimler-City ein Davidoff-Tempel aufmachte, fragten die ersten Kunden prompt nach der „Schröder-Zigarre“.
Wo aber sind die Stumpenraucher geblieben, die Arbeiter und Rentner, die sich im Wohnzimmer und auf Parkbänken an brennender Meterware ergötzten? Stumpen enthalten nicht gerade die besten Blätter und sind an beiden Enden offen, einfach abgeschnitten. Fragen wir nach in der sogenannten Provinz, in einer nicht mehr ganz so weihraucherfüllten Bischofsstadt. „Für Stumpen habe ich hier gar keine Kunden“, erzählt der junge Chef eines Passauer Tabakladens, der ohne Lottozettel und Zeitschriften auskommt. Hier vermählen sich gelbbraunschwarze Farbtöne mit milden, würzigen, süßen Duftwölkchen. Tabakmischungen gibt es in dem Laden lose aus dem Glas. Und in Vitrinen locken die Zigarrenschätze.
Genüßlich zählt der Besitzer auf, wer sie oft in ganzen Gebinden ersteht: Rechtsanwälte und Hoteliers, Unternehmer und – wie bitte? – Ärzte. Über deren Motive darf spekuliert werden. „Die Dosis macht, daß ein Ding giftig sei“, hat ein Arzt namens Paracelsus gesagt. Er wußte, daß wahrer Genuß Begrenzung voraussetzt. Die EG-Gesundheitsminister haben trotzdem allen Grund für ihre permanente Warnung. Doch der blaue Dunst kann eben auch eine Spielart von Kultur sein, die manchen Leuten hin und wieder soviel wert ist wie eine Theaterkarte. Der Wiener Nervenarzt hat auch diesen Zusammenhang erkannt. Von einer Geschwulst tödlich bedroht, ließ Freud die Zigarre für immer ausgehen und notierte: „Ich habe das Rauchen völlig aufgegeben, nachdem es mir genau fünfzig Jahre lang als Schutz und Waffe im Kampf mit dem Leben gedient hat. Ich bin also jetzt wohler als vorhin, nicht glücklicher.“
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