Ökolumne: Atommeiler einfach vom Netz blockieren
■ Erstmals können Castor-Blockaden den schnellen Ausstieg erzwingen
Die Zukunft der Atommüll-Entsorgung ist das erste große Thema zum offiziellen Auftakt der „Atomkonsens“- Gespräche zwischen Regierung und AKW-Betreibern. Was heißt überhaupt Entsorgung? Dieser zentrale Begriff in der Atommüll-Debatte bedeutet ja nicht, wie viele meinen, daß die Sorgen und Probleme der kommenden Generationen mit den ewig strahlenden Hinterlassenschaften des Atomzeitalters mit diesem oder jenem „Entsorgungskonzept“ gelöst würden. Entsorgung bedeutet lediglich, daß den AKW-Betreibern die Sorge der stetig wachsenden Atommüllberge abgenommen wird, um dadurch den Weiterbetrieb der Reaktoren zu sichern. Bisher geschah dies hauptsächlich durch die Transporte zu den Wiederaufarbeitungsanlagen ins Ausland, frei nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“.
Im rot-grünen Koalitionsvertrag steht: „Das Entsorgungskonzept für radioaktive Abfälle ist inhaltlich gescheitert und hat keine sachliche Grundlage mehr.“ Eigentlich wäre die Konsequenz daraus, sämtliche Reaktoren wegen Fehlens des gesetzlich vorgeschriebenen Entsorgungs-Vorsorgenachweises sofort stillzulegen. Doch die Bundesregierung scheut den Konflikt und propagiert neue Scheinlösungen.
Es sollen Castor-Hallen an den Kraftwerken gebaut werden. Doch diese lösen das Problem nicht, sondern garantieren bloß die Weiterproduktion von Atommüll – das ist spätestens seit dem Bauantrag für ein erstes solches Lager am AKW Lingen klar. Dort soll Platz für den strahlenden Müll für weitere 30 Reaktorbetriebsjahre geschaffen werden.
Eigentlich könnten die Betreiber mit dieser Wende in der Atommüll-Politik zufrieden sein; schließlich kommt sie die Lagerung vor Ort deutlich billiger als die aufwendige Wiederaufarbeitung. Doch es wird Jahre dauern, bis die neuen Hallen genehmigt und fertiggestellt sind, selbst ohne den bereits angekündigten Widerstand der Anti-Atom-Bewegung gegen den Bau dieser Zwischenlager.
Wenn also demnächst Schluß mit der Wiederaufarbeitung ist, dann sind die Sorgen der kommenden Generationen endlich auch zu Sorgen der Stromkonzerne geworden: Sie haben ein Problem mit dem Atommüll. RWE-Chef Dietmar Kuhnt sprach es als erster aus: „An 16 der 20 Kernkraftwerke haben wir keine ausreichende Lagerkapazität für Brennelemente.“
Die Lagerbecken in Stade und Biblis B sind bereits voll. Binnen 18 Monaten werden in Krümmel, Neckarwestheim 1, Biblis A und Philippsburg 1 die Kapazitäten erschöpft sein. Ein Jahr später sind weitere drei Reaktoren dicht.
Nun hat sich die Bundesregierung auch dieses Problems angenommen. Wirtschaftsminister Müller: „Die neue Regelung der Entsorgung darf in keiner Weise den Betrieb der Kernkraftwerke behindern.“ Rot-Grün garantiert den Betreibern, daß sie ihren Atommüll weiter in die bereits bestehenden und genehmigten Hallen nach Gorleben und Ahaus schaffen dürfen, solange die neuen Zwischenlager nicht fertiggestellt sind. Dies bedeutet jährlich zwischen 60 und 100 Castor-Transporte ins Wend- oder Münsterland.
Genau hier kommt die Anti-Atom-Bewegung ins Spiel. Denn im Poker um den „Energie-Konsens“ kann ihr Widerstand den Ausstieg wesentlich beschleunigen. Das beweist die Vergangenheit: Seit 1995 konnte gegen den massiven Widerstand nicht mehr als ein Castor-Transport pro Jahr nach Gorleben oder Ahaus durchgesetzt werden. Wenn es also auch in Zukunft nötig wird, bei jedem Transport bis zu 30.000 BeamtInnen einzusetzen, hat die Bewegung gute Chancen, einen Reaktor nach dem anderen vom Netz zu blockieren. Es gibt dann einfach nicht genug Polizei, um jährlich Dutzende von Atommüllzügen zu sichern.
Das alles hat übrigens wenig mit der aktuellen Debatte um die Rücknahme deutschen Atommülls aus Frankreich zu tun. Aus La Hague sollen jährlich zwei Transporte rollen. Die damit verbundene Botschaft: Atommüll-Transporte wären notwendig für den Ausstieg. Doch das Gegenteil ist der Fall. Denn auch in Zukunft dienen fast alle Castor-Fuhren nur dem Weiterbetrieb der AKWs. Und wer sich querstellt, stoppt nicht nur den Transport, sondern auch die Reaktoren. Eine verlockende Handlungsperspektive für alle Menschen, die aktiv etwas gegen die Atomenergie tun wollen und die nicht bereit sind, auf den Ausstieg bis zum St. Nimmerleins- Tag zu warten. Jochen Stay
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