Highway zum Fegefeuer ....

■ ...lauer Liebe: Gekonnt ent-enthusiasmiert Wolfgang Hofmann im Theater Bremerhaven die Liebe in Goethes „Urfaust“

Vielleicht ist das Beste, was man von Goethe-Inszenierungen im Goethe-Jahr sagen kann, daß sie auf hohem Niveau scheitern. Vielleicht können die Stadttheater aus dem Zwang zur Erfüllung ihres gesamtdeutschen Bildungsauftrags im Geburtsjahr des Dichters gar nichts Besseres machen, als ihr Scheitern zu thematisieren.

Wolfgang Hofmann, seit einem Jahr Oberspielleiter am Stadttheater Bremerhaven, hat mehrfach gezeigt, daß er klassische Stoffe und große Ensembles souverän in Szene setzen kann. Jetzt hat er mit dem Urfaust frühzeitig das Goethe-Jahr eingeleitet – und zeigt das Scheitern der Liebe zwischen „Gretgen“ und Faust so verhalten, so zurückgenommen, als wäre zwischen den beiden niemals ein Funke übergesprungen und zum Feuer entflammt. Da haben sich zwei von heute in ein weit entferntes Bild verirrt. Ein junges Mädchen und ein recht junger Mann.

Hofmann inszeniert Urfaust als leises Kammerspiel, Mephisto hält er im Hintergrund, er ist kein Drahtzieher, er ist fast nur Beobachter. Und die Kupplerin Marthe hat einen einzigen Auftritt (den Christel Leuner sinnlich-prall akzentuiert). Alle anderen Figuren und Szenen sind gestrichen. Hofmann macht die Bühne doppelt und dreifach zum musealen Bild: Fausts Studierzimmer ist ein opulent holzgetäfelter Museums-Raum. Links und rechts stehen zwei Vitrinen, daraus wird Mephisto später den nötigen Schmuck entwenden. In die Rückwand ist eine riesige Fensterfront eingelassen. Zunächst nachtschwarz, solange Faust einsam monologisiert, gibt sie später den Blick frei auf Margarethes Kammer.

Eine Kammer, die zugleich als römische Gartenlandschaft ausgemalt ist (höchstes Lob dem Bühnenbildner Peter Laher). Die Gretchen-Szenen als Bild im Bild, ein Bild, das seinen Platz im Museum findet. So hat der Regisseuer einen Weg gefunden, den schwergewichtigen Stoff in aller Fremdheit fremd sein zu lassen. Und das wirkt besonders schön, wenn Faust Gretchen überraschend in sein Museum hereinzieht, während sich der Teufel mitten im Bild als Italienreisender (à la Tischbein) niederläßt, um von oben mißtrauisch das zu belauschen, was Heinrich zur Religion zu sagen hat.

Jetzt wird sichtbar, was dieser Faust für einer ist: eine müde Blasiertheit legt er Gretchen gegenüber an den Tag, mit arroganter Besserwisserei belehrt er sie. An Rettung glaubt er nicht mehr. Die erste Begegnung findet unter 25 weiteren Bewerberinnen statt, junge Mädchen, die gerade ein Museum besichtigen. Gretchen ist die einzige, die auf Fausts hilflose Flirtversuche antwortet. „Bin weder Fräulein, weder schön“, sagt sie, ohne daß er auch nur ein Wort verloren hätte. Heike Eulitz gibt Gretchen die Farbe einer lebendigen, jungen Frau, die vorm Spiegel mit entblößten Schultern das gefundene Geschmeide bewundert. Das ist ein wenig zuviel David-Hamilton-Ästhetik. Die erste große, noch einschüchternde Liebe will man diesem Gretchen nicht abnehmen. Der Regisseur sucht die fehlenden Gefühle mit einer Toncollage aus romantischer Kammermusik zu ersetzen. So werden die Worte nur noch fremder.

Am Ende sitzt Margarethe statt im Kerker in einer Vitrine. Faust hat sich wie in Trance dagegen gelehnt. Benommen, geradezu schläfrig, hantiert er mit irgendeinem Schlüssel, aber hier läßt sich nichts mehr aufschließen, er will es auch gar nicht. Er glaubt seinen eigenen Sätzen nicht mehr, die Gefühle sind erkaltet, das Grauen zwischen den beiden ist eisig und rettungslos. Was am Ende heftig schmerzt, ist dieses grausam genaue Schlüssel-Bild vom Verlust der Fähigkeit zu allen großen Gefühlen. Vielleicht ist diese Inszenierung gar nicht gescheitert. Ist vielleicht dieses verhaltene Spiel mit einem reichen, längst geplünderten Zitatenschatz alles, was sich machen läßt? Zwei Frauen und zwei Männer – Kay Krause als Mephisto und Michael Quinten Stobbe als Faust – sprechen sich in eine Welt voller Zitate hinein. Dabei assoziiert Faust Magie mit Maggie, und der Teufel spielt frei nach AC/DC „Highway to heaven“. Was hier scheitert ist der Glaube an die Magie der Liebe. Ein modernes Stück.

Hans Happel

Im Stadttheater Bremerhaven am 26. und. 27. Januar, 20 Uhr