Exzellenz mit schmutzigen Händen

Kosmetische Operation statt Befreiungsschlag: Der Ausschluß von sechs unlauteren Mitgliedern aus dem IOC verhindert nicht, daß die Ära Samaranch beendet ist  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Wenn sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) in zwei Jahren versammeln wird, um seinen nächsten Präsidenten zu küren, ist eines gewiß: Diesmal wird es keinen Antrag geben, die Altersgrenze für IOC-Mitglieder heraufzusetzen, um dem dann 80jährigen Juan Antonio Samaranch eine weitere Amtszeit zu ermöglichen. Er selbst hat es zwar noch nicht gemerkt, aber die Ära Samaranch in der olympischen Bewegung ist beendet. Fast ein wenig verloren wirkte der greise Spanier, als er am Sonntag in Lausanne vor die Medien trat, um die ersten Maßnahmen zu verkünden, die das IOC in jener Korruptionsaffäre ergreift, die in Salt Lake City ihren Ausgang nahm und immer weitere Kreise zieht.

Der mit großem Getöse avisierte Befreiungsschlag entpuppte sich als kosmetische Operation. Das IOC tat genau das, was nach den bekanntgewordenen Verstößen unumgänglich war. Als Folge des Berichtes einer Untersuchungskommission unter Führung des Vizepräsidenten Richard Pound (siehe Portrait Seite 13) wurden sechs Mitglieder ausgeschlossen, genau jene „paar Afrikaner“ (plus zwei Südamerikaner), von denen der norwegische Langlauf-Olympiasieger Vegard Ulvang zuvor ironisch gesprochen hatte. Die Untersuchung vergangener Olympiabewerbungen wird fortgesetzt und die Vergabe der Spiele neu strukturiert. Keine Besuche mehr von IOC-Mitgliedern in den Städten, keine Besuche von Bewerbern bei den Delegierten, entscheiden wird nicht mehr die IOC-Vollversammlung, sondern ein 16köpfiges Gremium.

Die Reaktionen auf die Maßnahmen reichen von „Theaterdonner“ (Politiken) bis „Bauernopfer“ (Basler Zeitung), bemängelt wird vor allem, daß Samaranch selbst nicht bereit ist, persönliche Konsequenzen aus jahrelanger Mißwirtschaft unter seiner Ägide zu ziehen. „Jedes IOC-Mitglied ist so wichtig wie Kohl, Bush und Gorbatschow zusammen“, gab Berlins Olympiabewerberin Hanna-Renate Laurien 1992 zum besten, eine Einschätzung, die den Olympiern derart in Fleisch und Blut überging, daß die bestürzendste Erkenntnis des Skandals der eklatante Mangel an Schuldbewußtsein in ihren Reihen ist. Insgesamt 216.010 Dollar hat Jean-Claude Ganga aus dem Kongo laut Pounds Untersuchungsbericht kassiert, 70.010 Dollar in bar, 17.000 für medizinische Behandlung, 115.000 Dollar Reisekosten für sich und seine Familie sowie 14.000 Dollar für Geschenke und Unterhaltung. Nichtsdestotrotz beteuert er weiter seine Unschuld. Anton Geesink, der ermahnt wurde, weil er in Utah 5.000 Dollar für seine Stiftung annahm, will zwar nicht mehr im niederländischen Sport tätig sein, paradoxerweise aber weiter im IOC. Auch er fühlt sich ungerecht behandelt.

Die meisten IOC-Mitglieder haben am bisherigen Zustand nach wie vor nichts auszusetzen, sondern wähnen bloß schwarze Schafe am Werk. NOK-Chef Walther Tröger beispielsweise sieht keinen Anlaß, am System der Olympiavergabe durch die Vollversammlung etwas zu ändern. Unter diesen Vorzeichen ist es kein großes Risiko für Samaranch, daß er überraschend ankündigte, im März bei der Vollversammlung die Vertrauensfrage zu stellen. Die Olympier wissen, daß auch sie untergehen, wenn der Mann untergeht, der das System des weltweiten Schmarotzertums geschaffen und gefördert hat. 90 der bis vor wenigen Tagen 116 IOC-Mitglieder sind von Samaranch persönlich oder wenigstens mit seiner Zustimmung ins Komitee geholt worden. „Ich bin Tag und Nacht um ihn herumgeschwirrt“, wußte Frau Laurien über den Mann zu berichten, der sich „Eure Exzellenz“ nennen läßt, wie ein Staatsoberhaupt reist, überall auf größtmöglichem Luxus besteht und stets jede Kritik an seiner „Olympischen Familie“ barsch zurückwies. Schon 1991 teilte ihm das Bewerbungskomitee von Salt Lake City mit, daß ein Agent IOC- Stimmen verkaufe. Nichts geschah. Ein Sprecher vom Pierre- de-Coubertin-Komitee in Lausanne beklagte erst kürzlich, daß Samaranch nie etwas unternahm, obwohl man ihm häufig über Korruptionsfälle in Kenntnis gesetzt habe. „Juan Antonio Samaranchs Hände sind schmutziger als die jedes anderen“, schreibt die Washington Post, „wenn jemand gehen sollte, dann Samaranch.“

Eine Meinung, die maßgebliche Mitglieder im IOC durchaus teilen, aber nicht offen zu äußern wagen. „Es sieht nicht gut aus für den Präsidenten“, sagt ein Insider. Die jüngere Garde im IOC, die schon lange auf ihre Chance wartet, weiß, daß eine glaubwürdige Erneuerung des Komitees, die auch Sponsoren und Fernsehanstalten zufriedenstellt, nur ohne den Mann funktionieren kann, der eng mit dem System der Korruption verwoben ist. Aber auch wenn Samaranch die letzten beiden Jahren seiner Präsidentschaft noch hartnäckig absitzt, ist klar, daß seine Macht gebrochen ist. Leute wie Richard Pound, Marketingdirektor Michael Payne oder der Belgier Jacques Rogge werden versuchen, das Komitee zu modernisieren, zu professionalisieren und zwangsläufig zu demokratisieren. Ihnen zur Seite stehen Figuren wie Anita deFrantz oder Kevan Gosper, die allerdings selbst wegen ihrer Verwicklung in die Salt-Lake-City- beziehungsweise Sydney-Bewerbungen in der Kritik stehen, und der allgegenwärtige Thomas Bach, dem sein Ruf als Samaranch-Hätschelkind hinderlich sein könnte.

„Wir stehen nicht am Ende, sondern am Anfang unserer Arbeit“, sagte Juan Antonio Samaranch am Sonntag in Lausanne. Es klang fast schon wie ein Abschied.