: Die Reisen des Mr. Coates
Die olympische Enthüllungsküche brodelt auch in Australien, nachdem NOK-Präsident John Coates seine diversen Varianten des Stimmenfangs offenlegte ■ Aus Sydney Thomas Zimmermann
Ein wenig steif, aber zweckoptimistisch ringt Michael Knight, der olympische Minister von New South Wales, der Krise eine gute Seite ab: „So großes Medieninteresse hatten wir lange nicht. Jetzt können wir der Welt zeigen, welch wirklich gute Arbeit wir hier machen.“ Die Oberolympioniken von Sydney, Veranstalter der Sommerspiele 2000, sind aufgescheucht, aber auch erleichtert: Das IOC hat ihnen ihre Stadt letztes Wochenende in Lausanne als Austragungsort erhalten. Eine Kommission, die Sydneys Bewerbung untersucht, konnten sie verhindern.
Letzte Woche noch, angesichts täglicher Enthüllungen aus Salt Lake City, Nagano oder Amsterdam, erwiesen sich die Stadt und ihre Spiele als mediale Ladenhüter. Die Bewerbung um die Ausrichtung galt als blitzsauber. Die olympischen Anlagen sind zu 90 Prozent fertiggestellt. Das Budget wird allenfalls maßvoll überzogen. Die Gastgeberinnen unterziehen die Stadt termingemäß einer Verschönerungsoperation. Es gibt keinerlei organisierten Protest gegen die Spiele. Passiver Widerstand drückt sich in der Hoffnung aus, während der Spiele besonders schnäppchenpreisige Flüge aus Sydney heraus zu bekommen.
Doch dann offenbarte sich John Coates, Präsident des Australischen Olympischen Komitees (AOC) und einer der führenden Strippenzieher in Sydneys Bewerbung. Sydney eroberte die Schlagzeilen zurück – zum Erstaunen des Publikums und zum Entsetzen der Offiziellen. Das australische IOC- Mitglied Kevan Gosper erwischte es in Lausanne besonders kalt, als daheim sein AOC-Chef Papiere veröffentlichte, von deren Existenz Gosper noch nicht einmal etwas wußte: Noch am Vorabend der Entscheidung in Monaco 1993 hatte sich Coates mit zwei afrikanischen IOC-Mitgliedern getroffen und ihren Nationalen Olympischen Komitees (NOKs) finanzielle Unterstützung im Wert von jeweils rund 60.000 Mark zugesagt.
Unglücklicherweise mißversteht die Welt Mr. Coates' Bemühungen um den afrikanischen Sport als unredlich. Für ihn ist es Entwicklungshilfe: „Es ist nicht einfach, auf Stimmenfang zu gehen, diese Länder zu bereisen, zu wissen, wie reich wir selber sind, und keine Hilfe anzubieten.“ Bereits im August 1993 vereinbarte der AOC ein 2,2 Millionen Mark teures Trainings-Programm für Athletinnen und Athleten von 14 NOKs aus Afrika, Asien und Südamerika. Die Verträge dokumentieren, wie Mitgefühl und Eigennutz bei John Coates verschmelzen und zeigen die Grauzone der bisherigen Vergaberichtlinien des IOC: Unabhängig vom Wahlausgang dürfen die 14 NOKs jeweils zwei Sportler ins olympische Trainingszentrum nach Canberra schicken, Flug, Unterkunft, Betreuung inklusive. Der nächste Vertragsabsatz führt aus, daß im Falle eines Sieges für Sydney noch einmal je zwei Athleten in den Genuß dieser Offerte kommen – was dementsprechend bis heute der Fall ist. Gleichwohl, John Coates wußte, was er tat: „Wir hätten immer auch neinsagen und den traditionellen Weg beschreiten können. Wir hätten den Delegierten einen Ken-Done-Schal schenken können, aber wir hätten niemals gewonnen.“
Nach dem Wochenende sind die Hoffnungen hoch, nunmehr nach vorn schauen zu können. Alle sprechen sich gegenseitig das Vertrauen aus. IOC-Vize Gosper dem AOC-Chef Coates. Minister Knight dem IOC-Chef Samaranch. Die Sponsoren den Veranstaltern. Nur der Bürgermeister von Sydney, Frank Sartor, schert aus und schimpft, das IOC solle im eigenen Haus aufräumen und gefälligst seine Stadt in Ruhe lassen.
Doch die Ruhe könnte trügen. Neben den von Coates selbst offenbarten anrüchigen Anreizen köcheln weitere zweifelhafte Engagements in der Enthüllungsküche: Zwei Monate bevor Sydney 1993 die Spiele zugesprochen bekam, erhielt eine Casino-Gesellschaft in Cairns, Queensland, die Lizenz, ein Casino zu betreiben. Zu den Gesellschaftern gehörten die Präsidenten des österreichischen und des australischen Olympischen Komitees, Leo Wallner und John Coates. Das Casino-Geschäft bescherte dem AOC einen Verlust von mehr als sechs Millionen Mark. John Coates‘ Wiederwahl zum Präsidenten stand das nicht im Wege.
Bereits kurz nach dem Gewinn der Bewerbung machte Coates öffentlich, er habe der Tochter des am Wochenende zurückgetretenen IOC-Mitglieds für Swasiland, David Sibandze, bei der Einschreibung in einem Ausbildungsinstitut in Sydney geholfen. Für die Sydney-Offiziellen ebenfalls noch nicht völlig ausgestanden ist die Eisenbahnaffäre, in die der frühere Olympia-Minister Bruce Baird verwickelt ist. Die staatliche Antikorruptionsbehörde ermittelt in einem Fall, in dem Baird den Sohn des rumänischen IOC-Mitglieds Alexandru Siperco für ein Vorstellungsgespräch bei der staatlichen Eisenbahn empfahl. Der junge Mann bekam einen Job, obwohl seine Qualifikation keinem der Anforderungsprofile entsprach.
Sowohl Baird als auch Coates sind in Deckung gegangen. Die Sprecherinnen der beiden Bewerbungshelfer entschuldigen ihre Chefs. John Coates bereite eine Auslandsreise vor und stehe für einen Kommentar nicht zur Verfügung. Bruce Baird hielte sich bereits in Übersee auf. Statt dessen wird einer vorgeschickt, der erst nach der Bewerbung zu seinem Posten kam. „Sydney hat nun die Chance, mit der Veranstaltung exzellenter Spiele voranzugehen und die gesamte olympische Bewegung zu rehabilitieren“, sagt Michael Knight. Die ministerielle Moral: Erst wer selber schmutzige Hände hat, kann anderen den Weg aus dem Dreck weisen.
Das erklärt schließlich auch, warum die Oberolympioniken von Sydney einmütig auf Juan Antonio Samaranch setzen, den IOC-Karren aus dem Schlamm zu ziehen.
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