: Lauschangriff gegen Jelzin
Rußlands Präsident soll samt Familie bespitzelt worden sein. Dahinter soll Oligarch Beresowski stecken. Gehen mußte zunächst mal der Generalstaatsanwalt ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
Jedesmal, wenn er nach längerer, krankheitsbedingter Abwesenheit in den Kreml zurückkehrt, verspürt Rußlands Präsident Boris Jelzin den Drang, sein Territorium frisch zu markieren. Noch am selben Tage unterzeichnet er dann gewöhnlich Entlassungsurkunden. Am Dienstag traf es Generalstaatsanwalt Juri Skuratow (46).
Der hatte schon vorher Lunte gerochen. Schon am Montag abend hatte er ein Schreiben an den Präsidenten formuliert, in dem er um seinen Rücktritt aus Gesundheitsgründen ersuchte. Die von Jelzin Dienstag früh verlassene Koje im Moskauer Zentralkrankenhaus war noch warm, als prompt Skuratow dort eingeliefert wurde. Aber niemand in Moskau glaubt, der robuste Mittvierziger könne zwingendere gesundheitliche Gründe haben sein Amt aufzugeben, als der 68jährige Präsident.
In Wahrheit bildete die Entlassung des Generalstaatsanwaltes den Auftakt zu gleich zwei großen Säuberungsaktionen: reinigen will der Präsident zum einen das ganze Land vom Einfluß des Oligarchen, Politintriganten und amtierenden GUS-Generalsekretärs Boris Beresowski, zum anderen den Justizapparat von fremdem Einfluß – nicht zuletzt Beresowskis.
Aus Jelzins Umgebung verlautete, der Präsident habe dem Generalstaatsanwalt das Schneckentempo übelgenommen, mit dem er spektakuläre Morde, wie den an der Deputierten Galina Starowojtowa, untersuchte. Außerdem könne Jelzin das lasche Vorgehen gegen die in Moskau herumspazierenden faschistischen Formationen nicht mehr mitansehen. Es besteht aber aller Grund zu der Annahme, daß Boris Nikolajewitsch noch einen viel persönlicheren Groll gegen Skuratow hegte.
Darauf, daß das ganze irgendwie auch mit Beresowski zu tun haben könnte, kamen die Moskauer schon am Dienstag, als die Generalstaatsanwaltschaft eine zwölfstündige Haussuchung im Moskauer Büro der Erdölgesellschaft Sibneft durchführte. Beresowski erwarb einst das Mehrheitspaket dieses siebtgrößten Erdölkonzerns Rußlands. Parallel zur Aktion bei Sibneft wurden noch etwa 20 weitere mit Beresowski in Zusammenhang stehende Firmen und Wohnungen durchsucht.
Gestern erklärte ein Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft schließlich: „Wir haben bei Sibneft gefunden, was wir dort suchten: Abhörgeräte und Aufzeichnungen von abgehörten Gesprächen“. Nahezu zur Gewißheit verdichtete sich damit der Verdacht mancher Beobachter: die ganze Aktion sollte die Sibneft-Verbindungen zu einer privaten Spionageagentur Beresowskis beweisen.
Eine solche Firma namens „Atoll“ soll in Moskau schon vor einigen Monaten von der Miliz ausgehoben worden sein. Wie die Tageszeitung Moskowski Komsomoljez im Januar in einem aufsehenerregenden Artikel berichtet hatte, habe man dort Aufzeichnungen aus dem Leben zahlreicher Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gefunden. Die „heißesten“ Kassetten sollen Aktivitäten der Familie des Präsidenten, vor allem aber der Jelzin-Tochter Tatjana genau dokumentiert haben. Der Moskowski Komsomoljez beschuldigte Skuratow in dem Artikel heftig, Beresowski zu decken. Zwei Tage später eröffnete die Staatsanwaltschaft dann ein Untersuchungsverfahren in Sachen „Atoll“.
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