piwik no script img

Tanz den Lacan

■ Tanzherbst: Eine getanzte Hommage an den großen Bremer Choreographen Gerhard Bohner wurde durch eine verbale ersetzt

Der Höhepunkt des Tanzherbstes soff ab in der Grippewelle. Mit 39 oder 40 Grad Fieber (je nach Informationsquelle) liegt Cesc Gelabert darnieder. Vermutlich aber haben höhere Mächte bei dieser bakteriellen Sabotage ihre Hände im Spiel. Denn Gerhard Bohner, dessen Solo „Im Goldenen Schnitt“ Cesc Gelabert nachtanzen wollte, weigerte sich zeitlebens strikt, seine auf den eigenen Leib maßgeschneiderten Soloarbeiten an andere Tänzer auszuleihen. Bohner ist 1992 mit 56 Jahren am Aidsvirus gestorben. Jetzt schützen andere Viren sein Werk.

„Nein. Das gibt's nicht“, stöhnte eine Frau aus München, als sie von Gelaberts Ausfall erfuhr. Für manche Freunde des Tanzes ist Bohner mit seinem radikalen, statuarischen Reduktionismus eine Art Säulenheiliger. Das war nicht immer so. Ein Zeitzeuge seiner Tage am Bremer Theater (1978-1981 als Co-Leiter unter Reinhild Hoffmann) erzählt von massenhaften leeren Stuhlreihen. Schon immer klafft in Bremen eine tiefe Wunde zwischen grandioser Außenwirkung seiner Choreografie-Stars und der Akzeptanz bei den eigenen Leuten. Ein Tatbestand, aus dem der Tanzfachmann Johannes Odenthal die Struktur von Bohners Solostücken ableitet. Seine These in einem Vortrag im Institut Francais: Wie bei den meisten anderen ChoreographInnen haben die Soloarbeiten zum einen die Funktion, neue formale Wege zu erproben, zum anderen verarbeiten sie schwierige biografische Phasen. Und Bohner mußte eben immer, in Darmstadt, Bremen und Berlin, um seine Arbeitsmöglichkeiten kämpfen. „Ein groteskes Mißverhältnis zwischen Leistung und Anerkennung. In Darmstadt hat man mal einen neuen Bodenbelag einem neuen Bohnerstück vorgezogen. Verbittert aber war er nicht.“

Aber auch den Aidstod des Freundes hat Bohner in einem Solo verarbeitet. In „Zwei leben, zwei Leben“ (1988) verwandelte er sich in einem Berliner Kellergewölbe in Charon, den Fährmann der Toten. Mehr als eine Stange, stellvertretend für das Ruder, und zwei stelzenartige Miniaturleitern unter den Füßen brauchte er dazu nicht. So rudimentär ausgestattet, tat er nichts anderes, als den Raum zu durchschreiten. Videoaufzeichnungen vom „Goldenen Schnitt“ zeigen einen in einen weiten Anzug verhüllten, von jedem Muskelstolz befreiten, wunderschönen Mann, der den Tanz von aller sportlichen Virtuosität entkleidet hat. Wie ein Kleinkind, das sich Bewegung erobert, oder wie ein Greis, der sich seiner Restbestände von Gelenkigkeit vergewissert, erprobt Bohner Grundformen der Bewegung: In die Knie gehen, den Kopf nach rechts, nach links drehen, den Ellbogen abwinkeln und immer wieder schreiten. Und manchmal stand er ganz in weiß gekleidet da, wie ein helles Kreuz. Eine Drehung mit ausgestreckten Armen ist hier schon ein aus der Ordnung fallender Exzeß. Dieser Minimalismus erinnert an Josef Albers fast schon mathematisches Durchdeklinieren des Quadrats. Kein Wunder, daß sich Bohner auf die Tradition des Bauhauses berief.

Damit nimmt er in der Geschichte des Solotanzes eine Außenseiterposition ein. Diese Geschichte ist nämlich für Odenthal nichts anderes als ein Abarbeiten am Subjektbegriff. Für Mary Wigman (“Und jetzt werde ich die Hexe“) und Isidora Duncan (“Ich tanze mich selbst“) war der Ausdruckstanz noch eine Möglichkeit, den gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen zu entkommen und das wahre Ich zu entdecken. An dieses Ich glaubt heute kein Mensch mehr. Deshalb sind die Soli der 90er Jahre für Odenthal getanzter Poststrukturalismus, schillernde Splitter aus dem Abfallhaufen zertrümmerter Identitäten. Im Sinne Lacans und Barthes geht es um die Dekonstruktion gesellschaftlicher Rollenmuster. Klein dagegen ist die Schar der „Körperforscher“, die aus den Splittern neue Muster bauen. bk

Grandiose Fotos von Gerhard Bohner sind im Institut Francais bis 12.2. zu sehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen