: Blick zurück in Sehnsucht
Erst heute wird die Berlinale eröffnet, aber schon jetzt fehlt es Staatsminister Michael Naumann an Größe. Dabei kommt der deutsche Film ganz hauptstädtisch daher – wenn auch etwas vergangenheitsverliebt ■ Von Brigitte Werneburg
Das transparente Spinnwebpapier, das das Programmheft von „Aimée & Jaguar“ ziert, will an die alten Fotoalben erinnern, aus denen man es kennt. Und das natürlich nicht von ungefähr, denn der Film über eine lesbische Liebe – von der tatsächlich ein echtes Fotoalbum existiert – spielt im Berlin der 40er Jahre, am Ende des Zweiten Weltkriegs. Da der Film des Regisseurs Max Färberböck nicht schlecht ist, dürfte er für Produzent und Verleiher eine sichere Bank sein. Im Film hat Deutschland offenbar nur in der Zeit des Dritten Reiches die Größe, die ein Publikum in die Kinos zieht. Joseph Vilsmaiers „Comedian Harmonists“, dessen Konfliktpotential ebenfalls von den Nazis und ihrer sogenannten Judenpolitik geliefert wird, war letztes Jahr der erfolgreichste deutsche Film, noch vor „Lola rennt“.
„Aimée & Jaguar“ eröffnet heute abend die 49. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Der Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, hat vorher schon bekanntgegeben, daß er sich für die Berlinale wieder mehr Größe wünscht. Schließlich ist Berlin wieder Hauptstadt, nicht nur „nominell, sondern auch faktisch“, wie er im Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus meinte. Das solle man dem Festival auch anmerken. „Mir kommt es darauf an, die Berliner Festspiele zu fördern und zu einer noch stärkeren Konkurrenz für Cannes zu machen“, sagte er und schoß in Richtung Moritz de Hadeln: „Das liegt nicht nur bei mir, sondern auch bei den Veranstaltern.“
Der Leiter der Festspiele reagierte sauer und packte den Kulturminister bei dessen Schwachstelle: „Wenn Herr Naumann mehr Stars, mehr Konkurrenz zu Cannes haben will, dann müßte er erst mal unser Budget aufstocken, das deutlich unter dem von Cannes liegt.“ Und im übrigen, so de Hadeln in Focus: „Ich glaube, Herr Naumann träumt ein bißchen davon, Berlin zu ändern.“ Das ist wohl wahr. Nur wie ändert man es? Hin zu mehr Grandiosität, wenn die beispielgebende Größe nun nicht gerade Modell sein kann?
Zunächst einmal, schon weil das einfacher ist als mehr Finanzierung, setzt man auf mehr Politik. Kein Geringerer als Gerhard Schröder wird die Festspiele im Zoopalast eröffnen. Er ist damit der erste Bundeskanzler, der sich für das wichtigste deutsche Filmfestival Zeit nimmt. Und falls der eine oder andere internationale Star schon rechtzeitig eingetroffen ist, dürfte es ihm an entsprechendem Glanz in seiner Umgebung nicht fehlen. Immerhin ist die Hommage Shirley MacLaine gewidmet. Und dann wollen Meryl Streep, Gwyneth Paltrow, Nick Nolte, Harvey Keitel und Nicolas Cage ihre Filme vorstellen, mit acht Beiträgen gehen doppelt so viele US-Produktionen wie im vergangenen Jahr ins Rennen um den Goldenen und Silbernen Bären.
Verwunderlich ist das Engagement der Amerikaner nicht, der europäische Markt ist für sie so wichtig wie ihr einheimischer. Bei 54 bis 87 Prozent Marktanteil in den einzelnen Ländern setzt Hollywood in Europa rund sieben Milliarden Dollar um, etwa die gleiche Summe wie zu Hause. Der Anteil des deutschen Films dagegen, der 1996 bei 15 und 1997 bei 17 Prozent lag, fiel 1998 unter den Stand von 1995 (9,5) auf etwas über 8 Prozent zurück. Und das, obwohl mit Doris Dörrie, Til Schweiger und Thomas Jahn durchaus Leute am Start waren, denen man volle Kinos zutraute. Die Leute wollen offenbar alle die gleichen Filme sehen. Die ersten zehn Filme des Jahres 1998 verbuchten jedenfalls schon einmal 35 Prozent der Zuschauer. Das Feld seitlich des Mainstreams wird stetig schmaler.
Neben „Aimée & Jaguar“ ist Andreas Dresens „Nachtgestalten“ der zweite deutsche Film im Wettbewerb. Auch Caroline Links Neuverfilmung von Erich Kästners „Pünktchen und Anton“ hat auf der Berlinale seine Uraufführung, der Film wird die Festspiele beschließen. Als Sondervorführung im offiziellen Programm ist auch ein neuer Wim-Wenders-Film da. „Buena Vista Social Club“, ein Dokumentarfilm, zeigt den US- amerikanischen Komponisten Ry Cooder bei seiner Zusammenarbeit mit den besten Musikern Kubas. „Nachtgestalten“ gehört zu den wenigstens sechs faktisch hauptstädtischen Berlinfilmen der Berlinale („Pünktchen und Anton“ spielte bei Kästner auch hier, freilich nicht mehr bei Link.)
Wenn sich am Abend des Papstbesuches die Wege dreier Paare kreuzen, dann erscheint Berlin als laute, häßliche Stadt. Bei Kutlug Atalans „Lola und Bilidikid“, der im Panorama läuft, ist sie nicht nur häßlich, sondern vor allem auch noch völlig leer und wüst. Im Forumsfilm „Dealer“ von Thomas Arslan dagegen prägt ein beunruhigend ruhiger Rhythmus die Stadt. Jedes Bild eines Wohnblocks ein Gemälde: So sieht das Berlin von „Plätze in Städten“ bei Angela Schanelec aus, während es bei Oskar Roehler eine einzige bedröhnte Party zu sein scheint.
Eine solche ist das Berlin der Bombennächte bei Färberböcks „Aimée & Jaguar“ auch ein wenig, wobei man sich wundert, woher er all die mächtigen neoklassizistischen Bauten der damaligen Stadt hernimmt. Im neuen Stadtbild scheinen sie ja fast nicht mehr vorhanden. Da wächst unaufhaltsam der Potsdamer Platz in die Höhe, der im nächsten Jahr ja der große Berlinale-Ort sein wird. Vielleicht ist dann Michael Naumann seine Hauptstadtsorgen los, obwohl man sagen muß, daß der Potsdamer Platz bislang noch so aussieht, als könnte er in Braunschweig stehen.
Eigentlich soll es ja das in Berlin zugelassene Metropolenpublikum sein, das die Berlinale von den anderen Festivals an Mittelmeer unterscheidet. Filme und Stars kann Cannes Berlin klauen, das Publikum dagegen nicht. Jetzt wird es sozusagen selbst gewürdigt. Denn auf Postkarten und Stimmzetteln darf es die Wettbewerbsfilme der Panorama-Reihe mit bis zu fünf Punkten bedenken. Der Siegerfilm wird dann am letzten Festivaltag noch einmal zu sehen sein. Der Publikumspreis ist zudem mit einer Bronzefigur des Bildhauers Hubertus Brand kombiniert. Die freilich sieht nun gar nicht nach box office hit aus.
Ab morgen ist die überregionale Berlinseite der Berlinale gewidmet. In Berlin gibt es täglich gleich drei Sonderseiten.
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