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Klüver, Klönschnack, Kichererbsen

■ Ein siebentägiger Segeltörn in der dänischen Südsee mit Vollwertkost-Verpflegung Von Simone Walter

Nach langen, trüben Regentagen strahlt wieder die Sonne vom Himmel und läßt die Kräuselwellen auf der Kieler Förde glitzern. Der Yachthafen ist Ausgangsort unseres einwöchigen Segeltörns durch die dänische Südsee. Das Reiseangebot steht unter dem Konzept eines „sanften Tourismus“; seine Grundpfeiler sind eine möglichst umweltfreundliche Art der Fortbewegung mit aktivem Naturerleben und die Verpflegung mit Vollwertkost aus ökologischem Anbau. Ein Konzept, das ebenso Entspannung und Erholung bieten wie neue Impulse geben will.

Am äußeren Steg des Hafenbeckens liegt ein großer Zweimaster mit strahlendem Rumpf – die Esther Jensen. Der robuste Kutter blickt auf eine arbeitsreiche Vergangenheit zurück: 1939 wurde er in Dänemark als Fischereifahrzeug aus Holz gebaut. Zu Anfang fischte man damit auf dem nördlichen Teil der Nordsee noch unter Segel. 1988 wurde er vor dem Abwracken gerettet und nach Amsterdam gebracht. Der heutige Eigentümer und Skipper, Theo van Tricht, kaufte das Schiff 1992 und baute es unter Beibehaltung seines ursprünglichen Charakters in ein komfortables Charterschiff um. Obgleich noch jung in ihrem jetzigen Aussehen, fesselt die Esther Jensen mit geschichtsträchtig wirkender Ausstrahlung den Blick des Betrachters. Ein Hauch Seefahrerromantik streicht durch die Taue.

Skipper Theo begrüßt uns über die Reling mit Handschlag. Mit Sack und Pack entern wir die geräumige Kajüte. Die Einrichtung aus Eichenholz, seitliche Bullaugen und ein großes Oberlicht lassen den Raum eine freundliche Behaglichkeit atmen. Wir verteilen die Kojen. Es gibt fünf Kabinen mit jeweils zwei übereinanderliegenden Schlafplätzen.

Noch an diesem Abend stechen wir in See. Die meisten von uns bringen wenig oder keine Segelerfahrung mit. Was nicht daran hindert, kräftig mit anzupacken. Die Vielzahl der Taue und der verschiedenen Bezeichnungen wirkt etwas verwirrend auf uns. Aber dank der genauen Anweisungen unseres Skippers bläht sich alsbald das weiße Gewand der Esther Jensen in einer schönen Abendbrise. Im Schein der Abendsonne gleiten wir über die Kieler Förde hinaus auf die Ostsee und nehmen Kurs auf die dänische Insel Langeland. Sommersonne im Gesicht und Meeresbrise um die Nase – ja, jetzt ist Segelurlaub, der Weg ist das Ziel.

Der zweite Segeltag macht uns damit vertraut, was es bedeutet, das eigene Vorankommen nicht wie gewohnt bestimmen zu können. Der Wind läßt zu wünschen übrig. Wir setzen alle verfügbaren Segel. Trotzdem dümpeln wir nur mit ein bis zwei Knoten dahin. Durch diesige Schleier sehen wir die Uferlandschaft vorbeiziehen. Sanft gewellte Wiesen, Wald, zahlreiche Windräder und einzelne Gehöfte. Weich zerfließen gedämpfte Farben auf den glatten Wogen der Wasserfläche. Die meditative Stille wird untermalt von dem bedächtigen Quietschen und Knarren der Takelage.

Langsam gebe ich die innere Zielgerichtetheit auf und beginne, mich einfach dem Augenblick hinzugeben. Hier gibt es keine Notwendigkeit für Hektik und Ungeduld. Alltagsgedanken und -sorgen lösen sich auf und verschwimmen mit den fließenden Formen im sanften Tanz der Wellen.

Die nächsten beiden Tage wendet uns das Meer seine rauhe Seite zu. Wir werden von einem Tief mit Windstärke 6-7 überzogen. Gischtspritzend pflügt der Bug durch die Wellenkämme. Das Schiff rollt heftig. Wasser schießt unter der Reling durch übers Deck. Der kühle Wind pustet uns ordentlich durch. Hilke steigt gerade mit frisch gebrautem Pharisäer aus der Kajüte. Dieter schlägt auf der Heckbank sitzend die Sahne dazu. Wir müssen aufpassen, daß der Wind uns nicht die Sahnehaube vom Henkelpott fegt. Herrlich, dieser Duft aus der heißen Tasse! Und innerlich aufgewärmt recken wir die Nasen wieder mit Genuß in die steife Seebrise.

Die Seeluft und die Sicht werden wieder wunderbar klar. Die Bewölkung reißt auf. Kühles Sonnenlicht gleißt silbrig auf dem Wellenmeer. Breitbeinig an Deck stehend versuche ich, das Gleichgewicht zu halten. In der Hingabe an die Bootsbewegungen tauche ich ein in das Erleben der elementaren Naturgewalten.

Nach dem Passieren der schmalen Fahrrinne zwischen den Inseln Falster und Seeland genießen wir einen Segeltag wie aus dem Bilderbuch. Ein azurblauer Himmel wölbt sich über dem Meer, und ein kräftiger Wind Stärke 4 bis 5 läßt uns gute Fahrt machen. Das Sonnenlicht gleißt auf den dunkelblauen Wellen.

Ein aufregend luftiger Platz, die Fahrt zu genießen, ist das Klüvernetz unter dem Bugspriet – von uns Landratten „Hängematte“ genannt. Dicht über die blaue Wasserfläche dahinfliegend sehe ich unter mir die Gischt zu beiden Seiten des Schiffsbugs aufschäumen. Als wir über das östliche Ende der Insel Møn hinaussegeln, können wir Møns Klint, die berühmten Kreidefelsen, von der Seeseite aus betrachten. Gelbgrau wie altes Elfenbein ragen sie aus dem Wasser.

Sooft es das Wetter zuläßt, genießen wir die Mahlzeiten draußen an Deck. Zum Frühstück gibt's Müsli mit viel frischem Obst und Schlagsahne für die Schleckermäuler. Das sind wir alle an Bord. Gemütlich plaudernd blinzeln wir tee- und kaffeeschlürfend in die Morgensonne, schnuppern die frische Seeluft, betrachten die täglich neue Umgebung, untermalt vom Getucker der Fischerkähne und Mövengeschrei. Ein Fest für alle Sinne. Daß unter uns eine so reibungslos harmonische Atmosphäre herrscht, mag nicht zuletzt an der guten Verpflegung liegen, wie erfahrene Seeleute bezeugen.

Ob die tägliche warme Mahlzeit mittags oder abends zubereitet wird, hängt vor allem vom jeweiligen Seegang ab. Beim schwankenden Ritt über die Wellenkämme haben wir schon alle Hände voll zu tun, den Tanz von rutschenden brotbelegten Tellern, kullernden Tomaten und rollenden Flaschen im Rahmen zu halten. Umso mehr genießen wir dann abends im ruhigen Hafen ein ungestörtes Dinner, auch wenn es witterungsbedingt unter Deck stattfinden muß. Allseits hochgelobt wird die köstliche Kichererbsen-Butter-Curry-Soße. Auch der Weißwein ist exzellent. Gute Grundlagen für eine gesprächige und heitere Abendstimmung. Aus der Kajüte der Esther Jensen erschallt Gelächter bis in die frühen Morgenstunden.

Als wir nach einer Woche in Warnemünde einlaufen, erleiden wir geradezu einen Zivilisationsschock. Verkehrsgetümmel umströmt uns zu Wasser und zu Lande. Die letzte Stunde an Bord, bevor unser Zug geht. Mit Lappen und Feger durch die Kajüte wirbelnd machen wir noch klar Schiff.

Unter unseren Füßen schwankt der Asphalt. Theo, auf dem sonnenbeschienenen Deck stehend, lächelt uns zu. Die Esther Jensen winkt mit bunten, vom Großbaum wehenden Geschirrtüchern zu uns herüber. Ich winke zurück.

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