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Papierattacken im bunten Trubel

Es ist soweit: Im närrischen Treiben von Fasching und Karneval werden wieder Tonnen von Konfetti und Luftschlangen unter das Volk gebracht. Gut, daß es diese Papiermunition gibt. Denn in früheren Jahrhunderten benutzte man zur fröhlichen Narretei noch ganz andere Wurfgeschosse. Zu Zeiten von Geheimrat Goethe etwa bewarf man sich mit Gipskügelchen. Eine Kulturgeschichte des flirrenden Unsinns  ■ von Günter Schenk

Auf diesen Augenblick hat er lange gewartet, der Mann mit dem dicken Holzkopf im blauen Fuhrmannskittel. Genüßlich stopft er dem Fremden die „Räppli“ in den unvorsichtigerweise geöffneten Mund. Bunte Papierschnipsel, die in Basel zur närrischen Grundausstattung des „Waggis“ gehören, einer baseltypischen Narrenfigur, die jeden Fastnachtsmuffel attackiert. Gleich pfundweise schmeißt er mit Konfetti um sich, streut sie Zaungästen beim Umzug in die Haare oder plaziert sie brutal im Gesicht. Die Kämpfe an der närrischen Front sind Relikte einer Zeit, in der es zu Karneval viel heftiger zuging als heute, wo Ordnungshüter das karnevalistische Treiben kontrollieren und polizeiliche Vorschriften den Rahmen fastnachtlicher Aktivitäten bilden.

Auch im französischen Nizza gehören Konfettischlachten zum närrischen Ritual. Zu Fastnacht werden dort rund eine halbe Million Konfettipakete verkauft, Milliarden kleiner Papierschnipsel, die in den zwei Festwochen auf Straßen und Plätzen landen. Eine Umweltsünde ohnegleichen, die in der verkehrten Welt der Narren aber immer noch Sinn macht. Hinter den Konfettiattacken nämlich steckt die mittelalterliche Narrenidee. Der Kampf des Fastens gegen die Fastnacht, Völlerei gegen Askese, Lust gegen Last.

Schon Pieter Bruegel, der große Maler spätmittelalterlichen Alltags, hatte in vielen seiner Bilder diesen Kampf festgehalten. Die Sinneslust des Narren – und die Gottesfurcht des Christen. Für jeden sichtbar zeigten die tollen Tage, wo es hinführt, wenn man den Pfad der Tugend verläßt. Der Teufel und seine Helfer bestimmten als Maskengestalten die Stunden vor Aschermittwoch: Sie hatten ihr höllisches Reich gegen die Tugenden zu verteidigen, gegen alle, die auf dem Weg ins himmlische Jerusalem für Mummenschanz und Maskerade wenig übrig hatten.

Vor allem in der Renaissance wurden die fastnachtlichen Schlachten zwischen der Tugend und dem Laster groß inszeniert, in den Nürnberger Schembartläufen zum Beispiel, den ersten populären Karnevalsumzügen auf deutschem Boden. Mit der Zeit jedoch verlor die mittelalterliche Narrenidee ihre Sprengkraft. Zurück blieben die Attacken der Narren, die zum scheinbar sinnlosen Späßchen gerieten. Zum Kampf Mann gegen Frau, oder besser: Frau gegen Mann. Als Kampfgeschosse dienten – je nach Geldbeutel – Eier und Bohnen, Erbsen, Stroh, Ruß und Mehl. Bis schließlich Gipskügelchen die Naturalien ablösten. Ende letzten Jahrhunderts kamen Papiergeschosse in Mode, bestimmten Luftschlangen und Konfetti das karnevalistische Geschehen.

Heute streiten sich Franzosen und Italiener, wer die bunten Papierschnipsel erfunden hat. Angeblich war es ein Mailänder Seidenraupenzüchter, der 1883 die Idee dazu hatte. Auf dem Markt aber plazierte sie ein knappes Jahrzehnt später ein französischer Druckereibesitzer. Wie die Luftschlangen, die vermutlich den Papierresten des Morsetelegraphen ihren Ursprung verdanken, waren auch die französischen Confetti ein Abfallprodukt. Eher zufällig hatte ein Drucker die beim Lochen von Kalenderblättern entstandenen Papierscheibchen gesammelt und einer Arbeiterin in der Vesperpause ins Haar gestreut. Die wiederum bewarf eine Kollegin damit, bis sich schließlich die ganze Belegschaft bombardierte. Das heitere Schlachtgetöse rief den Chef auf den Plan, der rasch die übrigen Papierschnipsel einpackte und sie beim nächsten großen Ball von der Galerie auf die Tänzer und Tänzerinnen herabrieseln ließ.

Die Sache fand Gefallen, der Spaß überall schnell seine Anhänger, auch wenn die Kaufleute den närrischen Funken oft erst selbst zünden mußten. So hatte schon 1892 ein Kaufhaus in Basel die Confetti aus Paris angeboten – gekauft wurden sie allerdings erst, als die Ladenmädchen auf der Straße zeigten, was sich damit alles anstellen ließ. Umgerechnet vier Mark zahlte man anfangs für das Kilo Konfetti. Doch mit zunehmender Industrialisierung sanken die Preise. Überall entstanden Konfettifabriken mit großen Maschinen, die stündlich drei bis vier Millionen Papierscheibchen stanzten. Manche Betriebe lieferten bis zu 800.000 Kilo Konfetti jährlich. 1787 – zu Zeiten also, als noch kleine Gipskügelchen das karnevalistische Treiben beherrschten – wurde Johann Wolfgang von Goethe in Rom Augenzeuge der Kämpfe: „Niemand ist vor einem Angriff sicher, jedermann ist im Vertheidigungs- Stande, und so entsteht aus Muthwillen oder Nothwendigkeit bald hie bald da ein Zweikampf, ein Scharmützel oder eine Schlacht. Fußgänger, Kutschenfahrer, Zuschauer aus Fenstern, von Gerüsten oder Stühlen, greifen einander wechselweise an und vertheidigen sich wechselweise.“

Die Munition lieferten damals ambulante Händler, welche die Gipskugeln meist auch fertigten. Keiner war vor den Attacken der Maskierten sicher, vor allem nicht die geistlichen Herren, die sich im Talar unters närrische Volk mischten. „Besonders wenn sich ein Abbate im schwarzen Rock sehen läßt, werfen alle von allen Seiten auf ihn, und weil Gips und Kreide, wohin sie treffen, abfärben; so sieht ein solcher bald über und über weiß und grau punktiert aus.“ Goethe registrierte aber auch, wie unter dem Schutz der Maske alte Rechnungen beglichen wurden: „Oft aber werden die Händel sehr ernsthaft und allgemein, und man sieht mit Erstaunen, wie Eifersucht und persönlicher Hass sich befreyten Lauf lassen.“

Angefangen hatten die Schlachten auf den Straßen Roms eigentlich ganz anders. Denn die ersten Confetti bestanden, wie der Name schon sagt, aus Konfekt: aus Zuckerkörnern, mit denen die Damen Roms zu Fastnacht die Männer bewarfen. Ein neckisches Spiel, das damals auch dazu diente, erste Kontakte zwischen den Geschlechtern zu knüpfen. Eine Art Liebeswerben, das im Schutz der Maske auch Klassenschranken überwinden konnte.

Mit der industriellen Fertigung der Papierkonfetti freilich hatten die Narren billige Munition gefunden, die in riesigen Stückzahlen gefertigt wurde. In Paris standen die ersten großen Konfettimaschinen, die in farbige Papierbahnen Millionen Löcher stanzten. Bunte Blättchen, im Schnitt mit sieben Millimeter Durchmesser. Mit den Konfetti kamen auch die Luftschlangen in Mode, die damals noch vornehm „Serpentinschlangen“ hießen. Lange, bunte Papierstreifen, die zwar schon vor dem deutsch-französischen Krieg bei Fastnachtsumzügen von Balkonen oder Fenstern herabgeschleudert wurden, sich aber erst zusammen mit den Konfetti auf der närrischen Bühne behaupten konnten.

Auch in Deutschlands Karnevalshochburgen fand die Sitte, sich mit Papier zu bekriegen, schnell Anklang. Auch hier setzten sich Konfettischlachten durch und zwangen die Behörden immer wieder zum Eingreifen. Um „Rohheiten“ zu verhindern, verbot der Mainzer Stadtrat 1906 das Konfetti- und Luftschlangenwerfen in geschlossenen Räumen. Gleichzeitig wurde allen Narren untersagt, Konfetti oder Papierschlangen von der Straße aufzuheben und damit andere zu bewerfen. Bis zu acht Tage Haft drohten jedem, der das Verbot mißachtete.

Schließlich gerieten die bunten Papierschnipsel auch ins Kreuzfeuer der Umweltschützer. Denn nicht nur in Paris wurden die Konfettireste am Aschermittwoch gewöhnlich ins Wasser gekehrt. „Die Farbstoffe, durch die sie ihr anmutiges Äußere erhalten, sind durchaus nicht immer einwandfrei, und der Genuß von Wasser, in dem solche Papierstreifen aufgeweicht wurden, wäre dem Menschen wohl nicht gerade zuträglich“, warnte die Augsburger Abendzeitung im Januar 1908. „Nicht allein der Farbstoff, der sich im Wasser löst, kann zur Vergiftung der Fische führen, sondern vor allem setzt sich der durchweichte Papierbrei unter den Kiemendeckeln und in den Kiemen fest, verhindert die Atmung und erstickt die Tiere dadurch.“ Als Beweis für die Umweltschädlichkeit verwies das Blatt auf das ostfranzösische Städtchen Chambéry. Dort waren viele tausend Fische gestorben, nachdem die Bürger ihren Schnee, der mit Konfetti gemischt war, in den örtlichen Fluß geschaufelt hatten.

Heute sind diese Bedenken weniger angebracht. Denn Konfetti wird kaum noch eigens gefärbt. Meist verarbeiten seine Hersteller dazu Papierreste, wie sie etwa beim Zuschneiden von Girlanden anfallen. Stärker belastet wird die Umwelt allenfalls in Amerika, wo Konfetti zunehmend aus Metall gefertigt werden. Vor allem auf Parteitagen, die medienwirksame Präsentation verlangen, schätzt man die glitzernden Schwebeteilchen.

In Deutschland dagegen, wo sich eine Handvoll Hersteller den Konfetti- und Luftschlangenmarkt teilen, setzt man weiter auf Papier. Uralte Konfettipressen im fränkischen Hinterland und supermoderne Stanzen auf der schwäbischen Alb spucken jährlich ein- bis zweihundert Tonnen Konfetti aus, welche die Narren übers Land verteilen. Hinzu kommen die hausgemachten Papierschnitzel, der Abfall aus vielen tausend Büros, der auf diese Art über Fastnacht entsorgt wird.

Wie es scheint, sind die Tage großer Konfettischlachten jedoch gezählt. Zur Kontaktaufnahme zwischen Frauen und Männern, wozu die Gipskügelchen im fastnachtlichen Rom Goethes noch dienten, taugen die Papierschnitzel längst nicht mehr. Im Gegenteil, fast sieht es so aus, als käme ein Stück Anarchie zurück, als lebten die Kämpfe zwischen Fastnacht und Fasten wieder auf. In letzter Zeit nämlich häufen sich Gruselberichte von der karnevalistischen Front, von Attacken mit Mehl und Ruß, mit Stroh und übelriechenden Flüssigkeiten. In Köln wurden die ersten Jecken gesichtet, die mit Rasierschaum oder Senf in die närrische Schlacht zogen.

Günter Schenk, 50, arbeitet als Publizist in Mainz. Sein Schwerpunkt: Fastnacht

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