: Exhibitionisten der Wahllosigkeit
Ute Rauwalds nervöses „Showdown Ifigenie“ in der Heinrich-Heine-Villa ■ Von Christiane Kühl
Spielen ist wichtig. Diese Erkenntnis stammt nicht erst von den Pädagogen der Siebziger, die gerne die Bedeutung des ungefährlichen Grenzüberschreitens für die Persönlichkeitsbildung betonten; schon in der Antike sprach man dem Spiel eine kathartische, sprich die Seele läuternde Kraft zu. Tragödie, Komödie, Ringelpietz mit Anfassen – den Beweis, daß dies alles irgendwie eins sei, versucht Show-down Ifigenie anzutreten.
Zu Beginn geschieht das durchaus überzeugend. Etwa vierzig Zuschauer sitzen zu beiden Längsseiten des Salons der Heinrich-Heine-Villa an der Außenalster und blicken sich in die Gesichter. „Spielen Sie gerne?“ fragt Eberhard Wendt ins Publikum, um sogleich der jüngeren Generation eine Einführung in Hänschen-sag-mal-piep zu geben. Jörg Ratjen betont parallel seine Vorliebe für Schach, man spricht mit Eifer und durcheinander, und das Publikum redet mit. Spielt mit. Dann erlöscht das Licht.
Der Titel, den die Hamburger Autorin Sarah Khan und die Regisseurin Ute Rauwald ihrem gemeinsamen Projekt gegeben haben, verspricht viel und bei genauem Hinhören auch eine Menge Schwierigkeiten. 90 Minuten Showdown wären natürlich grandios, doch spannungstechnisch sind sie kaum zu bewältigen. Und daß man Iphigenie nicht kennen müsse, weder in der Version von Euripides noch von Goethe, Racine, Hauptmann oder Fassbinder, wie Rauwald vor der Uraufführung betont hatte, war schändlich untertrieben – abgesehen von ein paar so bemüht wie zusammenhanglos eingestreuten Zitaten hat Showdown Ifigenie nichts mit der nur knapp dem Blutopfer entkommenen, göttinnenbeschützten Griechin in der Fremde zu tun. Allein das Heimatthema wird modern variiert. „Ifi“ (Dorothee Hartinger) rechnet die Vogelstimmenfrequenz ihres entvölkerten Fluchtorts Harvestehude gegen die alkoholkranken Schauspieler im „Stadtteilzoo“ St. Georg auf, wo ihr elefantöser Liebster (Björn Grundies) lebt: „Immer die gleichen Wege. Türke, Perser, Penny, Portugiese, dreißig mal Hallo und Grüß Dich. Dein Stadtteilpathos ist lächerlich.“
Doch selten ist der Text pointiert, meist reiht er wahllose Ideen und Klischees zu inkohärentem Gebrabbel. Mitunter ist das komisch, vor allem aber läßt es die sechs Figuren hysterisch wirken. Streiten, Schreien, Singen, Kalauern heißen die Disziplinen dieses Konkurrenzspiels um den längeren Atem, das ab einem bestimmten Punkt nur noch anstrengend ist. Melanie Kretschmann und Jörg Ratjen gelingt es in Momenten, Konzentration zu fokussieren. Im Sprachdunst des ewigen Paargeplänkels fragt man sich jedoch spätestens bei der endlosen Massage-Polonaise, ob diese Menschen eigentlich irgend etwas mitteilen möchten außer dem Exhibitionismus der eigenen Wahllosigkeit. Ihr Spiel ist wie das Spiel derer, die noch nie nicht-spielen mußten; verwöhnte Kinder, die sich an nichts ernsthaft abarbeiten können und deshalb pseudoprovokativ in alle Richtungen nerven. Am Ende sitzen sie im Kreis, spielen „Alle Vögel fliegen hoch“ und haben gar nicht gemerkt, daß sie und ihre Beliebigkeit ausgezählt sind.
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