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Von rechts nach Mitte-rechts

In Milmersdorf hat der Bürgermeister Position bezogen gegen Ausländerfeindlichkeit. Im Jugendzentrum verwandelt seither ein halbitalienischer Sozialarbeiter rechte Ressentiments in Verständnisbereitschaft  ■ Von Annette Jensen

Volker zielt. Der Pfeil trifft ins Zentrum. Volker zielt wieder: Scheibe verfehlt, der Pfeil knallt auf den Boden. Der nächste ist dran. Volker hopst hoch und pflanzt seinen massigen Körper auf den Billiardtisch. „Ich bin heute Mitte-rechts“, sagt er. „Früher, damals – da war ich rechts. Da hab ich auch die Russen geprügelt.“ Weder Bedauern noch Stolz. Eine Feststellung. „Aber man wird ja reifer mit dem Alter.“ Ein Grinsen breitet sich auf seinem freundlichen, fast kindlichen Gesicht aus, während er sich eine Zigarette ansteckt. Wie alle seine Kumpels hier trägt auch der 15jährige sein Haar raspelkurz; die Kopfhaut aber ist schon fast nicht mehr zu sehen.

Früher, damals – das war im Herbst 1997: Scharmützel auf dem Kinderspielplatz. Aussiedler sollen an Autos rumgefummelt haben – deutschen Autos. Und Frauen hinterhergerufen haben – deutschen Frauen. Dann marschierten einige dutzend Neonazis auf, herbeigerufen aus Eberswalde und Templin, bewaffnet mit Messern und Ketten. Ein paar sind hin zu dem, den sie als Hauptschuldigen ausgemacht hatten. Und als seine Familie nicht öffnen wollte, traten sie die Tür ein. Doch der Gesuchte war nicht da.

Wenige Tage später hing überall im Dorf eine Einladung des Bürgermeisters: „Ist Milmersdorf ausländerfeindlich?“ Das war für viele eine Provokation, meint der Pastor. 200 Leute kamen, die Sporthalle war voll. Einige Ältere beschwerten sich, daß die Halbstarken immer noch „Unsinn“ machten, obwohl es doch seit ein paar Monaten das Jugendzentrum „Bruchbude“ gab. Man habe doch extra einen Sozialmenschen aus Berlin angestellt – warum eigentlich aus Berlin und nicht aus Milmersdorf, wo es doch so viele Arbeitslose hier gibt? Daß der Mann auch noch einen italienischen Namen hat, wollte an diesem Abend niemand öffentlich kritisieren. Aber vielleicht hätte man das Geld doch lieber in neue Gehwegplatten und Straßenlaternen investieren sollen, meinten einige – und ein paar sind noch heute dieser Überzeugung. Damals stand ein junger Mann auf, warf rechte Parolen in den Raum und lobte die Tugend deutscher Männer im zweiten Weltkrieg. „Sowas dulde ich hier nicht“, sagte der damalige Bürgermeister. „Und ich dulde auch keine ausländerfeindlichen Übergriffe.“ Und an die Erwachsenen gewandt fügte er hinzu: „Jugendarbeit ist genauso wichtig wie Straßenbau.“

Zwei Millionen Mark hat die Bruchbude gekostet – ein schickes, blau-weißes Fachwerkhaus mit Glasgiebel inmitten der Tristesse, die das brandenburgische Plattenbaudorf Milmersdorf ansonsten bietet. Einen großen Saal mit Innenbalkons, eine Bibliothek, eine Holzwerkstatt und einen gemütlichen Kneipenraum haben die Jugendlichen selbst hergerichtet.

An einer rosa Wand hängen Fotos, auf der eine junge Frau mit haselnußbrauner Haut und einem roten Punkt auf der Stirn zu sehen ist. „Unsere Stipendiatin Mithu Mukherje“, steht darüber. Zwölf Leute arbeiten inzwischen in der Bruchbude, elf von ihnen bezahlt das Arbeitsamt und ein europäischer Fonds. Der, der damals bei der Versammlung in der Sporthalle rechtsradikale Parolen abgelassen hat, engagiert sich hier ebenso wie eine ehemalige Kindergärtnerin und ein früherer FDJ-Funktionär. Den bunten Trupp zusammengesammelt hat Filippo Smaldino, studierter Sozialpädagoge aus Berlin und Halbitaliener.

Um die 100 Jugendlichen am Tag kommen hierher, Jungens überwiegend. Was sie wollen, was sie sich wünschen, hat Smaldino sie gefragt. Nachdem er sich eine Weile durch „weiß nicht“ und „ist ja doch alles Scheiße“ gequält hatte, erfuhr er, daß sie gern an Autos rumschrauben und einmal ganz weit weg fahren möchten. „Wir müssen den Jugendlichen zeigen, daß sowas keine Illusion bleiben muß“, sagt Filippo Smaldino. Weil der Staat kein Geld hat, hat er Sponsoren gesucht – und gefunden. Der Rotary Club in Hamburg gibt ebenso Geld wie der DGB und die Freudenberg Stiftung. Dieser Tage fahren einige Leute von der Bruchbude nach Süddeutschland und kaufen einen alten Daimler-Bus. Den wollen die Jugendlichen in der Werkstatt nebenan aufmöbeln; ein Mechaniker von der Uckermärker Verkehrsgesellschaft in Templin wird ihnen dabei helfen. Für die dabei erlangten Kfz-Kenntnisse gibt es anschließend eine offizielle Bescheinigung, die nützlich für die Jobsuche sein kann. Und wenn der Bus wieder mobil ist, will die Gruppe damit bis nach Kalkutta reisen.

Seit Filippo Smaldino in Milmersdorf arbeitet, ist die Millionen-Metropole die Partnerstadt des 2.000-Einwohner-Kaffs nördlich von Berlin, dessen gesamtes Zentrum aus einer Kneipe, einer Telefonzelle, einem Laden und einer Bäckerei besteht. In einem Slum von Kalkutta können die Bewohner jetzt dank Milmersdorfer Hilfe über eine Brücke zu ihren Hütten kommen, anstatt in der Regenzeit durch knietiefen Schlamm waten zu müssen.

„Was nervt in Milmersdorf?“

„Mich interessiert, wie die Leute in Indien leben“, sagt Volker. Letztes Jahr, als Mithu Mukherje als Austauschschülerin in seiner Familie untergebracht war, war er allerdings noch nicht allzu offen für das Fremde. Er erinnert sich eigentlich an nichts Konkretes, außer daß „Inder schmatzen und mit den Fingern essen.“ Die Deutschen seien da doch ästhetischer, ist Volker überzeugt. Neugierig auf das ferne Land ist er aber dennoch. Seine Schwester war beim letzten Besuch dabei. Sie war „beeindruckt“, sagt Volker, und für Bruchteile einer Sekunde verändert sich seine Stimme. Volker ist überzeugt, daß man ihn freundlich aufnehmen wird: „Wir Deutsche sind ja für die Inder reiche Leute. Davor haben sie bestimmt Respekt.“

Noch keinen Kontakt haben die Bruchbudler dagegen zu den Aussiedlern, die im Plattenbau ein paar Meter weiter wohnen. Alexander, dessen Familie die Rechten vorletzes Jahr die Tür eintraten, kauert auf dem Sofa, seine Mutter sitzt mit verschränkten Armen auf der Lehne. „Nein, wir haben keine Angst mehr“, sagt sie leise. „Passiert ist passiert, man darf nicht dauernd daran denken.“ Alexander spielt jetzt ab und zu Basketball mit ein paar deutschen Jungens. „Freunde? Nein, Kumpels“, sagt er. Er ist 18, die anderen elf oder zwölf. Wenn er mit der Schule fertig ist, will Alexander eine Kfz- Ausbildung machen, in Berlin. „Da gibt es viele Ausländer. Da ist man freier.“

Immerhin, seit eineinhalb Jahren hat es in Milmersdorf keine Attacken mehr gegeben. Und die rechtsradikalen Schlägertrupps aus Eberswalde und Templin haben sich zurückgezogen, seit sie gemerkt haben, daß der Bürgermeister, der Pastor, der Schuldirektor und der Jugendzentrumsleiter nicht lange fackeln, wenn jemand „Sieg Heil“ brüllt oder eine Hitlerbüste aufstellen will. Meist hat schon die Drohung mit Polizei und Verfassungsschutz ausgereicht. Einigen Jugendlichen in der Bruchbude geht das Gezeter ihrer Kameraden über die „blöden Aussiedler“ ohnehin auf die Nerven.

Heute trifft sich erstmals die Gruppe, die den Vorplatz der Bruchbude gestalten will. Zwei Frauen und ein Mann aus Potsdam sind angereist, um ihnen beim Diskussionsprozeß zu helfen. Bevor es konstruktiv wird, sollen die Jugendlichen erst einmal abkotzen. „Was nervt in Milmersdorf?“ fragt der Mann mit dem Zopf und verteilt orangefarbene Zettel. Ein Kurzgeschorener mit Ohrring pinnt eine Karte mit „Aussiedler“ vorne an die Stellwand. Ein anderer mit dem gleichen Outfit hängt „Ausländerfeindlichkeit“ daneben. Und dann muß die Gruppe noch eine Weile warten, weil er noch mehr zu sagen hat: „Manche glauben, sie seien die größten. Und dabei sind sie wie alle anderen.“ Die Stimmung bleibt locker.

Im Sommer werden ein paar Jugendliche aus aller Welt anreisen, um gemeinsam mit den Milmersdorfern den Dorfplatz umzubauen. Einen Teich soll es geben. Und viel Platz für Sport. Filippo Smaldino hat die internationale Unterstützung schon organisiert. Und am liebsten hätte er auch Alexander und ein paar andere Aussiedler dabei. Ob die kommen würden? „Vielleicht“, sagt Alexander. „Wenn ich dann hier sein sollte.“

Volker wirft wieder Pfeile. „Im Zweifel bin ich eher für Deutschlands Interessen. Das ist klar“, sagt er. „Die Russen würde ich im Notfall wieder schlagen – aber nur, wenn sie meine Kumpel psychisch oder körperlich angreifen.“ Bei den Berlinern sei das im übrigen nicht anders. Und wenn ein Milmersdorfer einen anderen Milmersdorfer attackiert? „Wenn ich jemanden kenne, dann treffe ich ihn ja später wieder. Da muß man das dann anders hinkriegen.“

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