■ Nebensachen aus Mexiko-Stadt: Der einsame Konvertit
Kein Zweifel, die Mexikaner sind ein ausgesprochen nachtragendes Völkchen. Ex-Präsident Carlos Salinas darf sich auch nach jahrelangem Darben in der Fremde nicht blicken lassen. Dabei würde er doch aber gerne. Vier Jahre ist es nun schon her, daß er einen 23stündigen Miniaturhungerstreik zugunsten seines mordverdächtigen Bruders abbrach – der vor wenigen Wochen nun aber doch zu einem halben Jahrhundert Knast verurteilt wurde – und erstmal beleidigt das Weite suchte. Und gleich ziemlich weit weg: ins ferne, feuchte Dublin.
Zwar soll, so klärte mich neulich eine Freundin auf, durchaus eine gewisse Seelenverwandtschaft zwischen dem sentimentalen Nationalstolz von Iren und Mexikanern bestehen. Auch der Exilierte selbst meinte einmal gegenüber irischen Journalisten, daß er sich auf der grünen Insel heimisch fühle, beide Länder müßten ja permanent gegen die Arroganz des Imperiums ankämpfen – eine bemerkenswerte Einsicht für einen, der Zeit seines Amtes via Freihandel den verhaßten Gringos alle verfügbaren Türen und Tore zum stolzen Mexiko geöffnet hatte.
Seit einiger Zeit unternimmt der ehemalige First Man zögerliche Annäherungsversuche Richtung Heimat. Schon letztes Jahr lud er den Reporter einer großen mexikanischen Tageszeitung ins heimische Wohnzimmer, ließ sich zwischen Sofakissen und Madonnenstatuen ablichten und erläuterte seinem Gast, wie sehr ihm die gemeinen „Lynchkampagnen“ seiner Landsleute aufs Gemüt schlagen. All das sei schrecklich ungerecht, schließlich habe es in seiner Amtszeit (1988–1994) nichts als „sozialen, wirtschaftlichen und demokratischen Fortschritt“ im Lande gegeben. Das zeige ja auch die Tatsache, daß er, Carlos Salinas, in einer kürzlich erschienenen Oxford-Biographie über Persönlichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts als einer der drei großen Mexikaner dieses Jahrhunderts aufgeführt sei. Das Kleingedruckte muß der gute Mann dabei geflissentlich überlesen haben: von „enormen sozialen und politischen Kosten“ seiner marktradikalen Wirtschaftspolitik ist da die Rede, vom „katastrophalen“ letzten Regierungsjahr – inklusive Guerillakrieg, Mord und Totschlag in den eigenen Reihen und haufenweise Korruptionsskandale – und schließlich vom Tequila-Crash, dem „Sargnagel“ seiner politischen Karriere.
Aber Totgesagte leben bekanntlich immer länger. Und Politprofi Salinas tritt mittlerweile international nicht nur als geläuterter Antiimperialist, sondern auch als Verfasser feuriger Schriften gegen den Neoliberalismus in Erscheinung. Zusammen mit einem renommierten Harvard-Professor legte er der staunenden Öffentlichkeit vor kurzem in einem Essay dar, warum der ungezügelte Weltmarkt nun doch nicht die Rettung der Menschheit beschleunige. Statt auf Casino-Wirtschaft und „neoliberale Ideologie“ solle man künftig doch lieber auf „Demokratisierung der Produktion“ und die „organisierte Zivilgesellschaft“ setzen.
Ob das zum ersehnten Comeback reicht, darf bezweifelt werden. Die Begeisterung über die späten Einsichten des Herrn Salinas hält sich zu Hause jedenfalls in Grenzen: Während Rechtsliberale den Konvertierten nun als „Neosozialisten“ schimpfen, bezeichnen ihn selbst ehemalige Parteigenossen als „frivol und zynisch“. Nur der erbosten Linken wäre eine Rückkehr willkommen: Im Zeichen der Pinochet- Konjunktur, so hoffen nicht wenige, könne auch „Vaterlandsverräter“ Salinas der Prozeß gemacht werden. Und böse Kolumnistenzungen mutmaßen schon über weitere Essays aus der Feder des Experten: etwa zum Thema Menschenrechte, in Ko- Autorenschaft mit Duzfreund Fidel Castro. Anne Huffschmid
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